Hans-Lukas Kieser referierte in der Alten Synagoge in Hechingen über den Völkermord an den Armeniern. Foto: Beyer Foto: Schwarzwälder-Bote

Hans-Lukas Kieser stellt in Alter Synagoge Forschungsergebnisse zum Völkermord an den Armeniern vor

Von Willy Beyer

Hechingen. Hans-Lukas Kieser beleuchtete am Donnerstag ein düsteres Kapitel Geschichte, das lange tot geschwiegen wurde. In der Alten Synagoge referierte er über "Der Völkermord an den osmanischen Armeniern 1915/16".

Der emeritierte Geschichtsprofessor Paul Münch stellte den Referenten Hans-Lukas Kieser in einer Veranstaltung des Vereins Alte Synagoge als international renommierten Experten des bezeichneten Völkermords vor 100 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Länder Türkei, Syrien und Irak vor. Der studierte Historiker und Theologe befasse sich schon lange mit einem Genozid, der den im Nationalsozialismus gewissermaßen prophetisch vorweggenommen habe, sagte Münch über den Titularprofessor für osmanische Geschichte an der Universität Zürich.

Münch fragte nach der deutschen Mitverantwortung an den Verbrechen des so genannten jungtürkischen Regimes, das im Ersten Weltkrieg mit dem deutschen Kaiserreich verbündet war. Der Schweizer Hans-Lukas Kieser ging noch weiter und meinte mit Bezug auf den heutigen Forschungsstand, dass "Deutschland schon 1915 seine moralische Seele verloren" habe und nicht erst im Nationalsozialismus.

Kieser hat gründlich recherchiert und zum Thema bereits mehrere Schriften, auch in türkischer Sprache, veröffentlicht. Die Archive in der Türkei, die bis heute den Völkermord leugnet, seien nun alle zugänglich, sagte Kieser während seines mit Bildern und Landkarten dokumentierten Vortrags.

Kieser selbst sprach von einer Million Opfern allein in der Wüste um die Stadt Deir-Sor. Dort seien in der letzten Phase des Völkermords 1,2 Millionen deportierte Armenier lebend angekommen. Die meisten wären östlich des Flusses Euphrat an Hunger und Durst gestorben. Also in dem Gebiet, dass heute von den IS-Milizen kontrolliert wird. Die Quellen verweisen auf etliche Gruppen, die lebendig verbrannt wurden, so der Experte. Auf den Märkten von Aleppo, Damaskus und Bagdad seien vor 100 Jahren armenische Mädchen und Frauen als Sklavinnen verkauft worden.

Als Hauptverantwortlichen des Genozids nannte Kieser den Innenminister des Osmanischen Reichs, Talât Bey, der in seinem Notizbuch die Zahl von 1,5 Millionen toten Armeniern vermerkt habe. Die Versuche des deutschen Botschafters Hans von Wangenheim und besonders des evangelischen Geistlichen Johannes Lepsius den Völkermord zu verhindern, scheiterten letztlich an den Interessen des Weltkriegsverbündeten Deutschland. Doch auch die organisierte Kirchenschaft habe nicht gehandelt, beantwortete der Referent eine Frage aus dem Publikum. Schließlich wollte man auch den wichtigen Nato-Partner Türkei nicht brüskieren, war eine andere Antwort des Referenten darauf, warum der Westen bisher geschwiegen habe.