Maurice macht Lese- und Schreibübungen am iPad. Das Gerät erleichtert dem Jungen, der mit dem Down Syndrom zur Welt kam, das Lernen an der Weiherschule in Hechingen ungemein. Foto: Schwarzwälder-Bote

Wie Tablets Kindern und Jugendlichen der Weiherschule helfen

Von Julia Klebitz

Hechingen. Andreas lacht. Dann schiebt er die Unterlippe leicht nach vorne und setzt sie an die obere Zahnreihe. "Ffff, fff, Fußball" sagt der 16-Jährige und lacht wieder. Mit der Fingerspitze berührt er ein kleines Quadrat auf dem iPad, das vor ihm auf dem Tisch liegt. "Fußball schauen", sagt eine Stimme aus dem Tablet-PC. Andreas möchte am Wochenende Fußball schauen und Computer spielen. Keine ausgefallenen Hobbys für einen 16-Jährigen. Etwas Besonderes allerdings ist es für Andreas, dass er sich seit einigen Wochen mit Kumpel Kevin über seine Pläne unterhalten kann.

Kevin und Andreas sind Schüler an der Weiherschule in Hechingen. Beide haben große Probleme mit dem Sprechen. Über eine spezielle Software auf dem iPad können sie trotz dieser Schwierigkeiten kommunizieren – sich über ihr Wochenende austauschen und darüber, was sie sonst so bewegt. Finanziert wurden die Geräte über den Schuletat sowie über den Bildungswettbewerb der Sparkasse.

"Wir sind wahnsinnig froh, dass wir die iPads haben", sagt Sonderpädagogin Elvira Götze. Seit einem halben Jahr sind die Geräte an der Schule für Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf im geistigen Bereich im Einsatz.

Schon jetzt würden sich bei den "iPad-Schülern", wie Götze sie nennt, große Fortschritte zeigen: "Die Aufmerksamkeitsspanne hat sich bei fast allen deutlich erhöht." Die Kinder und Jugendlichen seien länger bei der Sache. Das sei wichtig, denn die meisten Weiherschüler brauchen für das Buchstabenlernen viel länger als Regelschulkinder. "Wir haben zwar auch andere Lernmaterialien und Hilfsmittel speziell aus dem sonderpädagogischen Bereich, die auch weiterhin zum Einsatz kommen", erklärt Götze, "aber am iPad gibt es durch die vielen Apps deutlich mehr Möglichkeiten".

"Was machst du am Wochenende?" fragt die iPad-Stimme. Nach Andreas soll jetzt auch Kevin über seine Pläne berichten. Er scheint konzentrierter, ruhiger als Andreas. Der 18-Jährige kreist mit dem Finger über dem iPad. Buchstaben kennt Kevin nicht. Die Kommunikation funktioniert über Symbole. Sanft drückt er auf ein Quadrat, auf dem ein Ball abgebildet ist. Etwas zu sanft. Kevin muss nochmal drücken.

Dank der sensiblen Touch-Oberfläche und der einfachen Bedienung könnten alle Schüler gut mit dem iPad umgehen, erklärt Götze einen weiteren Vorteil der Geräte. "Fußball schauen" sagt die Tablet-Stimme wieder. Die beiden Jungen sind sich einig, was während der WM auf dem Programm steht.

Ein paar Räume weiter sitzen auch Maurice und Moritz in ihrer Klasse über einem iPad. Beide Jungen kamen mit dem Down-Syndrom zur Welt. Auch sie brauchen eine spezielle Förderung. An verschiedenen Stationen dürfen sie heute im Deutschunterricht Lese- und Schreibübungen am iPad machen.

Auf Moritz’ Tisch liegen gleich zwei Tablet-Computer. Das der Schule, auf dem Moritz gerade kleinen Bild-Kärtchen passende Symbole zuordnen muss, und sein eigenes. Das zeigt er auch sofort stolz: Routiniert schaltet der 13-Jährige das Gerät ein und berührt zweimal das Display. "Hallo, ich heiße Moritz. Ich komme aus Hechingen-Boll", sagt die Computerstimme.

"Immer mehr Eltern unserer Schüler legen sich auch privat ein iPad zu", weiß Götze. Auch wenn die Krankenkasse die Kosten in manchen Fällen nicht übernnehme, seien die Tablets immer noch in einem Kostenrahmen, der halbwegs verträglich sei. Die Pädagogin erzählt von einem autistischen Schüler, der noch bis vor kurzem ein großes und schweres Gerät, einen sogenannten "Talker" in einem Koffer mit sich herumschleppen musste, um einfache Bedürfnisse und Wünsche äußern zu können. Rund 5000 Euro hat das Gerät gekostet. Jetzt habe er ein kleines, leichtes iPad. Und die Kommunikation damit funktioniere super. "Er gibt Sätze ein, und das Gerät liest sie vor." Denn der Schüler könne gut lesen und schreiben, nur eben nicht sprechen.

"Die iPads lassen sich individuell auf die einzelnen Schüler anpassen", sagt Götze. Sie dienten der unterstützten Kommunikation, dem Sprachverstehen, dem Symbolverständnis und ließen sich auch zum Erwerb der Schriftkompetenz einsetzen. Eine Allround-Kommunikations- und Lernmaschine sozusagen. Unterrichtsmaterialien auf Papier könnten mit dem Tablet kombiniert werden, auch Lernspiele gebe es, und das Gerät könne Bilderbücher vorlesen.

Maurice ist schon eine Aufgaben-Station weiter als Moritz. Mit einem speziellen Stift zeichnet er auf dem iPad den Buchstaben I nach. "Insel" soll er schreiben, das zeigt ihm ein Bild an. Seine gezeichneter Buchstabe leuchtet grün. Alles richtig gemacht. "Super", lobt die Lehrerin. Maurice schaut zufrieden.

Natürlich sollen die iPads den Unterricht an der Tafel oder mit altbewährten Lernmaterialien nicht ersetzen, betont Götze. Sie seien aber eine wertvolle Ergänzung, mit der man auf jeden Fall weiter arbeiten wolle. Auch Schulleiter Wolfram Göhner ist sehr zufrieden mit dem Projekt: "Es bieten sich ganz neue Möglichkeiten des Unterrichts und der Förderung", sagt er. "Es ist wichtig, dass sich die Schüler ausdrücken und über die Geräte kommunizieren können." Denn nichts sei frustrierender für ein Kind als mit seinen Anliegen gar nicht oder falsch verstanden zu werden.