Aus einem Auto heraus war Umut K. am 1. Dezember 2016 erschossen worden. Foto: Maier

Angeklagte kündigen an, sich äußern zu wollen. Rede des Vaters sorgt für Tränen. Mit Video

Hechingen - Kaltblütige, gedungene Mörder? So sehen die Angeklagten auf den ersten Blick ganz gewiss nicht aus. Im Gegenteil. Calogero S. (22) und Carmelo B. (20), die beiden, die laut den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft am 1. Dezember 2016 den damals 22-jährigen Bisinger Umut K. vor einer Spielothek auf der Staig in Hechingen aus einem Auto heraus erschossen haben sollen, wirken am Donnerstag eher wie Milchbubis. S. trägt Jeans und weißes Hemd, B. ein leicht geöffnetes blaues Hemd mit feinem Muster, darunter eine Kette um den Hals. Er ist frisch frisiert. Um die Fußgelenke sind Fesseln angebracht.

Am Landgericht Hechingen hat am Donnerstag, genau ein halbes Jahr nach der Tat, die Hauptverhandlung unter dem Vorsitz von Richter Breucker begonnen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind immens, jeder Zuhörer wird intensiv gefilzt. Am Rande der Verhandlung kommt es zu Disputen zwischen Freunden von Umut K. und Angehörigen der mutmaßlichen Täter. Drei Männer sind angeklagt: S. und B. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung, der Dritte, Carmine M., wegen Drogengeschäften, die nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Hintergrund der Tat gewesen sein sollen. Unter Umständen kommt bei S. und B. sogar eine Verurteilung wegen Mordes in Betracht.

Vater spricht über Leben seines Sohnes

Wie stark bei Angehörigen und Freunden von Umut K. der Verlust bis heute schmerzt, wird deutlich, als der Vater über das Leben seines Sohnes spricht. Es wird sehr still im Gerichtssaal. Am 25. Dezember 1993 sei Umut um 12.45 Uhr auf die Welt gekommen, berichtet Memet K. Ein anständiger, liebevoller und strebsamer junger Mann sei er gewesen, nie habe Umut Probleme bereitet. Rechtsanwalt oder Lehrer habe er werden wollen. Memet K., der in Bisingen lebt, hat traurige Augen, wirkt wie ein gebrochener Mann. Er ringt nach den richtigen Worten, mitunter stockt seine Stimme. Er erzählt eine Anekdote aus der Zeit, als Umut K. sieben Jahre alt gewesen ist: Damals habe der Bub eine Lehrerin gefragt, ob sie ihm sagen könne, wie weit es bis zum Himmel sei. In diesem Moment kommen vielen Zuhörern im Saal die Tränen.

Als der Vater des Opfers spricht, verfolgen die beiden mutmaßlichen Haupttäter das auf ganz unterschiedliche Weise: Calogero S. sitzt aufrecht im Stuhl, er blickt offen zu Memet K. hinüber. Carmelo B. sitzt zumeist gebeugt, senkt den Kopf und den Blick, als wolle er sich verkriechen.

Die beiden jungen Männer sind in Deutschland geboren und italienische Staatsangehörige. Beide verbrachten Teile ihre bisherigen Lebens sowohl in Deutschland wie in Italien, die Familien sind immer auf der Suche nach Arbeit. Als kleine Jungs haben sie auf italienischen Straßen zusammen Fußball gespielt. Der Kontakt war aber, glaubt man Carmelo B., damals nicht besonders eng gewesen. Seit 2014 sind beide in Burladingen zuhause, B. kaufte eine Wohnung. Sie haben feste Arbeitsstellen in Bodelshausen und Burladingen. Aber das war ihnen, glaubt man der Anklage, nicht genug.

Angeblich im Herbst vergangenen Jahres sollen die beiden sich demnach dazu entschlossen haben, mit Drogen zu handeln. Beim dritten Angeklagten, Carmine M., der mit solch krummen Geschäften vermutlich aufgrund Geldmangels laut den Ermittlungen im Sommer 2016 begonnen hatte, sollen sie mindestens ein Kilogramm Marihuana gekauft haben. Das Gras wollten Calogero S. und Carmelo B. gewinnbringend an zwei andere Männer, ebenfalls italienischer Abstammung, weiterveräußern. Nachdem diese aber das Geld dafür schuldig geblieben waren – 5000 Euro –, kam es am frühen Abend des 1. Dezember in der Spielothek "Imperial" in Hechingen zum Streit.

Einer der beiden Männer, die die Drogen-Schulden nicht beglichen hatten, Giovanni M., holte seinen Freund Umut K. zu Hilfe. K. traf um 18 Uhr in der Spielothek ein. Gemeinsam gingen sie nach draußen zu einer Sitzbank.

Die nun Hauptangeklagten Calogero S. und Carmelo B. wollten daraufhin nach Darstellung der Ermittler Giovanni M. erschießen, um Druck auf den anderen Drogen-Geschäftspartner auszuüben. Zweimal sollen sie in einem roten Fiat Punto um den Häuserblock gefahren sein, zweimal an der Spielothek und an der Sitzbank vorbei. B. am Steuer, S. nebendran. Während der dritten Runde legt Carmelo B. eine Vollbremsung hin, Calogero S. schießt mit einer Pistole durch das Autofenster – und trifft Umut K., der neben seinem Kumpel sizt. Der 22-Jährige wird um 18.05 Uhr in die Brust getroffen und stirbt wenige Minuten später.

War es so – oder anders? Zum Beginn der Hauptverhandlung sind die drei Angeklagten zu ihrem Leben und Verhältnissen befragt worden. Der nächste Prozesstag am Mittwoch, 21. Juni, (13.30 Uhr) verspricht Spannung: Alle drei haben angekündigt, sich auch in der Sache zu den Vorwürfen äußern zu wollen.

Bei den Angehörigen und Freunden von Umut K. ist der Schmerz bis heute riesig. Der Prozess ist für sie wie eine weitere Trauerfeier, der Gerichtssaal neben der Juristerei auch ein Ort des Erinnerns: Fast alle tragen ein schwarzes T-Shirt mit dem Bild des Getöteten darauf: Umut K. ist als starker junger Mann zu sehen, er trägt ein weißes Hemd, Fliege, Sakko. In einem Knopfloch steckt eine rote Rose.

Mehr zum Thema in unserem Online-Special.