Pfarrer Wolfgang Herrmann fand klare Worte bei seinem Vortrag. Foto: Ullrich Foto: Schwarzwälder-Bote

Vortrag: Wolfgang Hermann spricht über die Probleme bei der Beschäftigung von 24-Stunden-Kräften

Bei der Aktionswoche gegen Armut ging es im Bildungshaus St. Luzen um Ausbeutung in der Pflege und was man dagegen unternehmen kann. Der Leiter der Betriebsseelsorge in der Diözese Stuttgart/Rottenburg fordert eine größere politische Aktivität.

Hechingen. Nein, hinter der Aussage "Arbeitsausbeutung einkalkuliert", stand kein Fragezeichen. Aber ein Ausrufezeichen wäre durchaus angebracht nach den Ausführungen von Pfarrer Wolfgang Herrmann, Leiter der Betriebsseelsorge in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Der Referent nahm sich im Bildungshaus St. Luzen der Problematik bei jenen Arbeitskräften an, "die niemand im Fokus hat: Pflegkräfte und Haushaltshilfen." Die Nachfrage nach einer 24-Stunden-Pflege sei groß, meinte er.

Ausgeführt werden die Dienste zu 90 Prozent von Frauen, meist aus Ost- und Südosteuropa. Diese sogenannten "Live-Ins", die also im Hause wohnten, unterliegen häufig einem Rotationswechsel bei einem Einkommen von 700 bis 1400 Euro. Häusliche Pflege werde oft bevorzugt und gelte nicht als richtige Arbeit.

Entsprechend sehe auch die Entlohnung aus. Oft genug sei sie nach dem Fall der Mauer auch als Schwarzarbeit im Rahmen persönlicher Netzwerke ausgeführt worden und nur schwer aufzudecken gewesen. Zur Verschleierung diente oft eine Schein-Selbstständigkeit oder eine Deklaration als Dienstreise. Letztendlich seien das unerlaubte oder unfaire und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen mit Sieben-Tage-Woche und Rund-um-die Uhr-Betreuung.

Dass es auch anders gehe zeigen "Fair Care", "Carifair" und einige andere seriöse Agenturen. Herrmann listete die Kosten für eine Betreuung durch ein seröses Arbeitsverhältnis auf. Das funktioniere aber nur bei festgelegter Arbeits- und Freizeit und wenn Familienmitglieder oder andere Kräfte mit einbezogen würden.

Das Argument, dass das Arbeitsverhältnis für die Arbeitnehmer aus dem Ausland und den hiesigen Arbeitgebern eine Win-Win-Situation sei, wies Herrmann zurück. "Die Vorteile, hier billige Arbeit, da mehr Lohn als im Heimatland, sind ungleich verteilt", meinte Herrmann.

Dazu käme die Abhängigkeit vom Arbeitgeber, keine Gewerkschaft, keine Alters- oder Sozialversicherung, keine staatliche Kontrolle, extreme Dauerbelastung und kein Eigenleben, sofern diese Dinge nicht vorher geregelt würden. Es gebe viele ungerechte und menschenunwürdige Zustände. "Und durch unser Verhalten stabilisieren wir noch dieses System, das wir haben", betonte der Referent.

"Eine faire Pflege kostet auch etwas"

Er plädierte für eine würdige Pflege – für pflegende und gepflegte Menschen. "Caritas, Diakonie und Gewerkschaften und die Politik sind hier gefordert. Und wir von der Kirche fahren auf diesem Sektor mit angezogener Handbremse. Eine faire, rechtlich abgesicherte Pflege kostet etwas." In der Bundesrepublik seien die Sparguthaben so hoch wie noch nie, hatte der Referent eingangs gemeint. Gleichzeitig gebe es immer mehr, die nicht mithalten könnten, obwohl sie arbeiteten.

"Sie haben uns aufgerüttelt", meinte Elmar Schubert, Geschäftsführer der Caritas am Ende der Veranstaltung. "Wir müssen uns an die eigene Nase fassen und eine größere politische Aktivität von uns allen wäre angebracht." Im Anschluss an seinen Vortrag ging der Referent noch auf Fragen und Bemerkungen aus dem Publikum ein.