Alltag in der Hechinger Notunterkunft für Asylbewerber: Sarbat (rechts) mit seinen jesididischen Freunden und dem Security-Mitarbeiter Ronny (links) im Außenbereich des ehemaligen Krankenhausgebäudes. Foto: Rapthel-Kieser

In Hechingens Notunterkunft: Junge Asylbewerber warten darauf, dass ihre Zukunft endlich beginnt.

Hechingen - Der irakische Jeside Ali ist 20 Jahre alt und würde in Deutschland gerne das Gymnasium beenden. Kuflom aus Eritrea ist 27, studierter Ingenieur, arbeitete zuletzt als Lehrer und würde gern in die Elektro-Branche gehen. Und Sarbat, 23, möchte so bald wie es geht seine Frau und den zweijährigen Sohn aus dem Irak nachholen. Die rund 130 Flüchtlinge in der Hechinger Notunterkunft im ehemaligen Krankenhausgebäude warten darauf, dass ihre Zukunft beginnt.

"Wie gut ist denn ihr Arabisch heute", scherzt Verwaltungsleiter Kurt Guttroff am Eingang, als er mich empfängt. Die jungen Männer aus Eritrea sprechen meist ganz gut Englisch, erklärt er mir. Bei den Jesiden aus dem Irak sieht es etwas anders aus. Da werde ich Hilfe brauchen. Ronny, 26 Jahre alt und einer von insgesamt zehn Security-Mitarbeitern, die jeweils zu fünft Zwölf-Stunden-Schichten in der Notunterkunft arbeiten, würde für mich übersetzen. Er spricht fließend Arabisch, Griechisch, Deutsch und etwas Englisch. Guttroff hat mich bei den Asylbewerbern nicht angekündigt, keine Gesprächspartner ausgesucht. Er will keine Auswahl treffen, die Journalistin, so sagt er, soll sich ihr Bild selber machen, ganz unverfälscht. "Gehen sie einfach rein, gucken sich um, fragen sie wen sie wollen."

Die erste Frage stelle ich der sympathisch-lächelnden blonden Frau von der Security am Eingang. Zwölf-Stunden Schicht, ist das nicht ein langer Tag? "Die Zeit vergeht immer sehr schnell, es sind alles sehr nette Leute mit denen wir hier zu tun haben", sagt sie. Drei Stunden später denke ich, sie hatte Recht. Aber zuerst mache ich mit Ronny den Rundgang im Haus und übers Gelände. Im Flur vor dem Infoschalter, der 24 Stunden täglich besetzt ist, hängt eine Tafel mit dem Freizeitangebot. Wer von den Asylbewerbern beim Use-your-summer-Festival mithelfen will, kann sich in eine Liste eintragen. Die ist schon voll.

Flüchtlinge fühlen sich gut aufgenommen

Auf einem anderen Aushang sind die Freizeitangebote aufgelistet, Asylfest, Deutschkurs, Fußball, Ausflüge. Der Arbeitskreis Asyl rund um Almut Petersen hat da einiges auf die Beine gestellt. Das räumt auch Ute Sauter von der Stabstelle Integration im Landratsamt ein. "Beeindruckend", nennt sie es. Kein Wunder, das mir später alle Flüchtlinge unisono erzählen, sie fühlen sich wohl in Hechingen und freundlich aufgenommen.

Vor dem Infoschalter treffen wir Dorothea Bachmann. Die Bürgermeisterin ist auch gerade da. Immer wieder mal, wie mir Ronny und Guttroff erzählen. Viele der Asylbewerber begrüßt sie persönlich, fragt nach, kümmert sich und erzählt von Hechingen und seine Bürgern und wie man sich ein konfliktloses Miteinander wünscht. "Ich hätte nicht gedacht, dass sie die Bürgermeisterin ist", erzählt mir später der 27-Jährige Kuflom. Dass sich die Stadtchefin so aktiv um die Flüchtlinge kümmert, dass hätte er nicht erwartet. Er ist einer der ersten, die ich anspreche. Zusammen mit anderen steht er bei der Tischtennisplatte, zwei spielen, die anderen schauen zu, lachen, reden.

Einer der jungen Männer trägt ein großes Kreuz an einer Kette um den Hals. Hier, so erzählen sie mir später, müssen sie keine Angst davor haben, sich offen zu ihrer Religion zu bekennen. Das ist in ihrer Heimat anders. "Hier", sagt der 20-Jährige Zimmermann Daniel aus Eritrea, "sind alle sehr freundlich zu uns". Auch Robela, 25, bestätigt das. In seiner Heimat Eritrea war er Friseur und Barbier, das würde er gerne auch hier machen. Ob er in Deutschland bleiben will, weiß er nicht. Einer seiner Brüder ist in Schweden. Er hofft, ihn bald zu sehen oder zu besuchen.

"No problem", sagen sie alle, als ich mich vorstelle und frage, ob sie mir ein bisschen was über sich erzählen und ich sie fotografieren darf. Einige aus der fröhlichen Gruppe waren schon auf der Hohenzollernburg. "Ihm hat die Statue des alten Königs dort oben am besten gefallen", erzählt Kuflom über seinen Freund. Sie meinen wohl den Alten Fritz. Und wie steht es mit dem Deutschkurs: "Guten Morgen", "Ich komme aus Eritrea", "Ich heiße Kuflom", bekomme ich gleich aus allen Richtungen ein paar Kostproben geboten. "Sehr gut", lobe ich, und wir müssen alle lachen.

Auch das Essen schmeckt ihnen gut

"Wir haben das erwartet, dass das Essen anders ist, aber es schmeckt", erzählt Kuflom, als ich ihn auf die Verpflegung anspreche. Später bei der Essensausgabe bin ich dabei. Heute gibt es Spaghetti Bolognese mit Salat und Dessert, am nächsten Tag steht Putengeschnetzeltes auf dem ausgehängten Speisezettel. Für den Abend bekommen die jungen Männer jeweils ein Lunchpaket. Ronny steht immer noch neben mir. Beobachtet die Schlange an der Essensausgabe und sagt: "Das war ich vor vier Jahren."

Auch Ronny kommt aus dem Irak, ist Christ. Er hat Schlimmes erlebt in seiner Heimat, kam als Asylbewerber, hat schnell und offensichtlich sehr gut Deutsch gelernt und sich mittlerweile in Deutschland gut zu Recht gefunden. Die Jesiden, sagt er, könne er sehr gut verstehen. "Wegen Kleinigkeiten wurden sie drangsaliert", erzählt er mir, als wir draußen an einem Tisch mit den Irakern sitzen und reden. Der 23-jährige Sarbat bestätigt: "Einfach so mit einem Journalisten reden, sagen, was wir wirklich denken – da, wo wir herkommen, wäre das unmöglich gewesen." Und ja, er ist sehr froh, hier erst mal in Sicherheit zu sein, auch wenn es trotz all der Angebote manchmal auch ein bisschen langweilig ist. Aber Sicherheit und Freiheit, das, so bestätigt mir Ronny, empfinden alle. Und vielleicht ist deshalb die Stimmung am Tisch eigentlich sehr gelöst. Alle lachen und reden fröhlich durcheinander.

Ob er sich vorstellen könne, wieder in den Irak zurückzukehren, frage ich Sarbat. "Nein", sagt er, "es gibt keinen Weg mehr zurück".

Seit August 2014 fliehen Jesiden im Norden des Irak vor dem Vormarsch der Terrorgruppe Islamischer Staat, die sie als "Ungläubige" verfolgen, versklaven und ermorden. Im Irak, in Nordsyrien und der südöstlichen Türkei sind Jesiden eine ethno-religiöse Minderheit. Schätzungen, wie viel Jesiden es weltweit gibt, schwanken zwischen 200.000 und 800.000. Auch in Eritrea sind Christen eine religiöse Minderheit. Amnesty International und andere Organisationen sowie die Sonderberichterstatterin der UN berichten von systematischen Verfolgungen, Folter, Verschwinden lassen von Menschen und ihrer Ermordung.