Etwa 600 Zuhörer lauschten gestern in der Stiftskirche dem Vortrag von Pater Anselm Grün über das Thema "Wurzeln". Foto: Stopper Foto: Schwarzwälder-Bote

Pater Anselm Grün hält berührenden Vortrag über das Thema "Wurzeln" in der Hechinger Stiftskirche

Von Klaus Stopper

Hechingen. Was für ein Mönch! Etwa 600 Menschen kamen gestern in die Hechinger Stiftskirche, um einem einzelnen, 69 Jahre alten Benediktinerpater zuzuhören. Anselm Grün. Langer grauer Bart, gütige Ausstrahlung, leise Stimme – ein Mann mit stillem Charisma.

Anselm Grün hält bis zu 200 Vorträge im Jahr, immer vor vollen Reihen. Dennoch ist er kein technisch brillanter Rhetoriker. Er spricht durchweg leise. Das christliche in seinem Vortrag lässt er eher durchschimmern, als dass er es direkt anspricht. Seine Beispiele sind alltäglich. In seinem Vortrag in der Stiftskirche ging es um Wurzeln, ein Bild, das er in starkem Maß auf das nicht immer einfache Verhältnis der Menschen zu ihren Eltern bezog.

Dass dieses Verhältnis von Eltern und Kindern nie ganz perfekt sein kann, setzt er einfach voraus. Die reine Liebe, Reinheit der Seele überhaupt, hält er nicht für menschlich erreichbar, nicht einmal wirklich erstrebenswert. Nur wer das Dunkle in sich kenne und damit umgehe, akzeptiere sich so, wie ihn Gott erschaffen habe.

Über das Fest Allerheiligen, das auch dem Gedenken an die Verstorbenen gewidmet ist, näherte er sich dem Verhältnis zu Eltern. Dabei wählte er seine eigene Perspektive, die des älteren Mannes, dessen Eltern bereits gestorben sind. Sein Rat: Man solle sich erinnern, sich Sätze und Szenen in Erinnerung rufen, nachspüren, was in einem von den Eltern weiterwirke. Diese eigenen Wurzeln zu verstehen, sei wichtig. "Man darf Eltern nicht idealisieren, aber auch nicht dämonisieren", erklärte er.

"Aber Wurzeln können auch angeknackst oder vergiftet sein", entwickelte er den Gedanken fort. Missbrauch, Schläge oder Ablehnung durch die Eltern könne dies auslösen. Er schilderte sehr eindrücklich einen Entwicklungsweg, wie "man seine Wurzeln reinigen kann". Sich den Schmerz eingestehen, ihn verstehen, vergeben und am Ende die eigenen Wunden auch als Teil der Entwicklung annehmen können, das waren Punkte, die er dabei ansprach.

Viele Lebensbereiche bezog er in diese Schilderungen ein. Seine Arbeit als Begleiter von Seelsorgern, die in tiefe Glaubenszweifel geraten sind, seine Beschäftigung mit Psychologie und Meditation.

Diese psychologische Herangehensweise prägte auch das letzte Hauptthema des Abends, das Bild des "inneren Kinds" in den Menschen. Gefühle von Verlassensein, Angst, Ablehnung oder Überforderung in der Kindheit würden bis ins Alter nachwirken und fast unkontrollierbare Gefühle auslösen, erklärte er. Und damit kam er dann doch wieder auf den Glauben. Nach seiner Erfahrung gebe es in jedem Mensch auch das "göttliche Kind", das sich selbst als einzigartiges Geschöpf Gottes verstehe und akzeptiere. Dieses Gefühl werde oft verschüttet, dieser "Raum" könne aber auch immer wieder neu gefunden werden. Für Pater Anselm Grün liegt in diesem göttlichen Raum die tiefste Wurzel, aus der die größte Kraft fließen kann. Eine gemeinsame Meditation zum Abschluss zu diesem "göttlichen Kind" bildete den Abschluss des Vortrags.

Ein schöner Abend. 600 Menschen hatten nachdenklich zugehört. Nach dem Vortrag kamen viele nach vorn, um sich Bücher des Paters signieren zu lassen, ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Sie sahen glücklich aus.