Anfang März war Abdul Rahman Ashraf mit seiner Frau (rechts) zu Besuch bei Bürgermeisterin Dorothea Bachmann. Letztere gratulierte den beiden nachträglich zu deren Goldenen Hochzeit und überreichte ein Gemälde des Hechinger Rathauses. Foto: Jauch

Interview: Der ehemalige afghanische Botschafter spricht über den Umgang mit dem Islam

Hechingen - Er lebte 14 Jahre lang in der Zollernstadt: Der ehemalige afghanische Botschafter Abdul Rahman Ashraf denkt aber immer gerne an Hechingen zurück. Im Gespräch erzählt er von seiner Einstellung zur Integration und zum Umgang mit dem Islam, der in Afghanistan die führende Religion ist.

Würden Sie Hechingen als eine weltoffene Stadt bezeichnen? Wie haben Sie die Stadt erlebt, als sie hier gewohnt haben?

Hechingen als weltoffene Stadt zu bezeichnen, würde ich sofort unterstreichen. Nicht nur die malerische Naturkulisse, sondern auch die zahlreichen kulturellen Sehenswürdigkeiten sorgen dafür, dass die Stadt viele Besucher und Touristen anzieht.

Aus beruflichen Gründen mussten wir nach einigen Jahren Hechingen wieder verlassen. Es war ein schwerer Abschied, da wir uns in der Stadt und der Region sehr wohl gefühlt haben. Wir nutzen jedoch häufig die Gelegenheit, hierher zurückzukommen. So konnten wir auch über die Jahre den Kontakt zu unseren damaligen Nachbarn und Freunden aufrechterhalten.

Haben Sie – als Botschafter eines islamisch geprägten Landes – damals oft mit Vorurteilen gegenüber dem Islam zu kämpfen gehabt?

Zu der Zeit, als wir in Hechingen gelebt haben, war das kein "heißes" Thema. Inwieweit sich die Situation in Hechingen verändert hat, vermag ich nicht sicher zu beurteilen. Ich gehe aber davon aus, dass auch in Hechingen aufgrund der islamistischen Terrorgefahr und der kontrovers diskutierten Flüchtlingspolitik die Vorurteile gegenüber dem Islam eher zugenommen haben. Umso mehr ist es wichtig, dass die Politiker, Bürgerforen und die Unternehmer in Hechingen Aufklärungsarbeit gegen Vorurteile leisten und gemeinsam klare positive Ziele formulieren, die den europäischen und weltoffenen Geist dieser Stadt hervorheben.

Haben Sie hier vielleicht irgendwelche Erfahrungen mit Ausländerfeindlichkeit gemacht?

Mir sind diese Negativerfahrungen zum Glück weitgehend erspart beziehungsweise nicht in Erinnerung geblieben. Eine gelungene Integration spielt eine entscheidende Rolle. Dabei muss die Initiative vom Zuwanderer ausgehen. Er kann nicht Weltoffenheit erwarten, wenn er nicht selber bereit ist, sich zu öffnen. Meine Familie und ich sind ein Teil der deutschen Gesellschaft geworden, weil wir uns dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Deutschland angepasst haben. Dabei mussten wir auf unseren kulturellen und religiösen Hintergrund nicht verzichten.

Wie viele Afghanen wohnen denn in Hechingen? Würden Sie Ihren Landsmännern diese Stadt empfehlen?

Mir ist die aktuelle Zahl nicht bekannt. Aus der Presse weiß ich, dass zum Beispiel letztes Jahr im alten Hechinger Krankenhaus einige jugendliche afghanische Flüchtlinge Zuflucht gefunden haben. Natürlich würde ich Hechingen aus den bereits genannten Gründen empfehlen.

Was sind die größten Probleme von afghanischen Flüchtlingen?

Das derzeitig größte Problem afghanischer Flüchtlinge in Deutschland ist die Sorge vor einer Abschiebung. Sie benötigen Beistand und Unterstützung im Asylverfahren.

Ist Afghanistan ihrer Meinung nach ein sicheres Herkunftsland?

Das ist derzeit ein umstrittenes Thema in Deutschland. Während die Bundesregierung behauptet, dass Afghanistan ein sicheres Land sei, üben einige Bundesländer zu Recht Kritik an dieser Einschätzung. Auch Amnesty International hält Abschiebungen für unvertretbar. Für dieses Jahr wird von der UN aufgrund der zunehmenden Gewalt und der humanitären Lage in Afghanistan ein starker Anstieg der Flüchtlingszahlen erwartet.

Deutschland sollte diesen Menschen also Schutz gewähren?

In Afghanistan wird weiterhin ein Stellvertreterkrieg geführt, an dem vor allem die Zivilbevölkerung leidet. Nicht nur Deutschland allein, sondern die internationale Staatengemeinschaft muss den leidenden Menschen Schutz gewähren. Auf Abschiebung und damit auf Abschreckung zu setzen, wäre für die Betroffenen eine humane Katastrophe.

Was sehen Sie als größte Herausforderung für Botschafter aus Ländern, in denen der Islam die tonangebende Religion ist?

Die größte Herausforderung für Botschafter aus den islamischen Ländern ist die Fähigkeit, das Gute des Islams wieder in den Vordergrund zu rücken. Der Islam wird derzeit sowohl von autokratischen Regierungen und terroristischen Gruppierungen im Orient, aber auch von rechtspopulistischen Kräften im Okzident für machtpolitische Interessen missbraucht. Der islamistische Fundamentalismus und Terror hat nichts zu tun mit dem, was der Islam einmal bedeutet hat. Genauso wenig hatten die Kreuzzüge zu tun mit dem, was Jesus und das Christentum lehren.

Wird der Islam generell falsch wahrgenommen?

Die Religionen sind letztendlich Anleitungen für ein gemeinschaftliches Leben miteinander und nicht gegeneinander. Das heutige Bild des Islams ist komplett verzerrt. Ich finde es zum Beispiel sehr bedauernswert, dass in beiden Welten die Bedeutung der islamischen Philosophen des 11. und 12. Jahrhunderts wie Averroes oder Ghazali keine Erwähnung finden. Sie waren die eigentlichen Vorreiter für die später in Europa aufkommende Renaissance und Aufklärung. Das Wichtigste ist aber die Bildung: Sie ist der Schlüssel.

Info Prof. Dr. Abdul Rahman Ashraf

Der ehemalige Hechinger Abdul Rahman Ashraf (geb. am 2. Juli 1944) hat unter anderem von 1963 bis 1966 Geologie in Kabul studiert. Dort machte er seinen Bachelor. Weiterführende Studien führte er anschließend in Bonn durch. Im Juni 1972 beendete er das Geologie-Studium mit einer Diplomarbeit über die südwestliche Eifel und das rheinische Schiefergebirge. Sein Promotionsstudium begann Ashraf im April 1973. Im Dezember 1976 verlieh ihm die Universität Bonn für seine Promotionsarbeit, die er mit summa cum laude abschloss. Am 23. Mai 2002 ernannte ihn die Jilin-Universität in China zum Professor für das Fach Palynologie und Stratigraphie und ehrten ihn für seine 30-jährige Forschungen in China mit sein Bronzefigur neben 22 anderen Wissenschaftler zwischen Dinosaurierknochen in National Park Heilongjiang China. Ashraf wurde im Jahr 2009 für seine Verdienste um den Wiederaufbau Afghanistans und die Kooperation zwischen Afghanistan und Deutschland das große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Afghanischer Botschafter war Ashraf von 2010 bis 2014.