Charlotte Auel berichtet über den Unabhängigkeitstag und die große Erdbebengefahr

Die Hausacherin Charlotte Auel ist seit August in Mexiko und arbeitet dort als Freiwillige des Roten Kreuzes im Casa de Ángeles in Puebla. Im ersten Teil ihres Reisetagebuchs berichtet sie über das mexikanische Unabhängigkeitsfest und Erdbeben-Erfahrungen.

Hausach/Puebla. Ich wohne hier zusammen mit Fabian, einem anderen Rot-Kreuz-Freiwilligen, und Verónica, einer mexikanischen Studentin. Als Freiwillige genieße ich es, meinen festen Alltag in Puebla zu haben. Dies gibt mir die Möglichkeit, viel tiefer in die mexikanische Kultur einzutauchen. So auch am 16. September, dem Unabhängigkeitstag Mexikos. Am 16. September 1810 soll der Priester Miguel Hidalgo mit den Worten "¡Viva México! ¡Viva la independencia!" ("Es lebe Mexiko! Es lebe die Unabhängigkeit!") die versammelte Menge in dem kleinen Städtchen Dolores zum Kampf gegen die spanische Kolonialherrschaft aufgerufen haben.

Für uns Deutsche wäre es wohl etwas seltsam, am 3. Oktober durch Schwarz, Rot und Gold geschmückte Straßen zu laufen und laut "Es lebe Deutschland" zu rufen. Ganz anders in Mexiko: Die ganze Stadt ist in die Farben der mexikanischen Flagge getaucht, grün, weiß und rot und die stolzen Mexikaner rufen laut: "¡Viva México!". Ich selbst habe den 16. September in Cuernavaca, 150 km südwestlich von Puebla bei Verónicas Familie verbracht. Am Vorabend wurde typisch mexikanisch gegessen, getanzt und das Feuerwerk über der Stadt bewundert. Den eigentlichen Feiertag haben wir im Jardín del México verbracht, einem schönen Park mit verschiedenen Themenbereichen. Aufgrund des Nationalfeiertags gab es mehrere Ausstellungen und Aufführungen von traditionellen mexikanischen Tänzen.

Besonders beeindruckend habe ich den Unabhängigkeitstag bei meiner Arbeit im Casa de Ángeles erlebt. Hier wurden die Feierlichkeiten auf den Mittwoch vorverlegt. Es wurde ein Theaterstück über den Nationalhelden Hidalgo und seine sogenannten "Grito de Dolores" (Ruf von Dolores), sowie ein typisch mexikanischer Tanz aufgeführt. Ich hatte das Glück, trotz meiner nicht ganz so mexikanischen blonden Locken einen der Rebellen zu spielen und durfte somit ebenfalls laut "¡Viva México!" rufen. Für diesen besonderen Tag wurde jedes einzelne Kind unabhängig vom Grad seiner Behinderung wunderschön hergerichtet: Die Jungs mit mexikanischen Hemden, die Mädchen mit weiten bunten Röcken, kunstvollen Flechtfrisuren und bunten Schleifen und Blumen im Haar.

Leider habe ich auch eine sehr bedrohliche Seite Mexikos kennenlernen müssen. Mexiko befindet sich in einer der weltweit aktivsten Erdbebenzonen, dem sogenannten Pazifischen Feuerring. Erdbeben sind somit für Mexikaner nichts Ungewohntes. Zwei so starke Erdbeben innerhalb von zwölf Tagen wie in diesem September gab es allerdings seit 1985 nicht mehr. Damals starben weit mehr als 10  000 Menschen. Das erste Beben erschütterte Mexiko in der Nacht auf den 8. September. Ich wachte in meinem wackelnden Bett auf. Reflexartig schnappte ich mir Jacke und Handy und lief gemeinsam mit meinen ebenfalls aus dem Schlaf gerissenen Mitbewohnern auf einen Platz vor dem Haus. Nachdem wir etwa eine Viertelstunde draußen auf mögliche Nachbeben gewartet hatten, gingen wir wieder ins Haus, blieben aber aus Sicherheitsgründen noch zwei Stunden wach.

Das zweite Beben ereignete sich während meiner Arbeit, am 32. Jahrestag des verheerenden Bebens von 1985. Wir saßen mit den Kindern im Klassenzimmer, als die Erde plötzlich wieder anfing zu beben. Jeder der Betreuer und jedes große Kind schnappte sich ein Kind im Rollstuhl und wir verließen schnellstmöglich das Gebäude.

In dem Moment des Erdbebens habe ich nie viel nachgedacht und verspürte auch keine Angst, auch direkt nach dem Beben nicht. Man wusste, man war in Sicherheit und um einen herum waren keine größeren Schäden zu sehen. Zudem hatte ich immer das Glück, trotz überlasteter Telefonnetze meiner deutschen Familie direkt schreiben zu können, dass ich in Sicherheit war.

Erst als nach und nach Bilder von eingestürzten Häusern im Internet erschienen, man vermehrt Sirenen von Polizei und Rettungswagen in der Stadt vernahm und die Zahl der Toten und Vermissten weiter und weiter anstieg, wurde mir jeweils das tatsächliche Ausmaß des Bebens bewusst.

Das zweite Beben traf die Stadt Puebla stark, da das Epizentrum im gleichnamigen Bundesstaat lag. Alte Gebäude im Zentrum stürzten ein, Schulen und Universitäten waren mehrere Tage geschlossen. Überall in der Stadt findet man Sammelplätze für Essens- und Kleiderspenden. Im gesamten Bundesstaat Puebla ist von etwa 40 Todesopfern die Rede. Insgesamt kamen durch die Erdbeben mehr als 400 Menschen ums Leben.

Auch wenn die Beben einschneidende Erlebnisse für mich waren, hält mich dies nicht davon ab, meine Zeit hier in Mexiko zu genießen. Denn gerade in einer so belebten Stadt wie Puebla gibt es jeden Tag etwas Neues zu entdecken.