Marica Bodrozic stellte im Gespräch mit Wolfgang Nies ihr Buch "Mein weißer Frieden" und damit ihre philosophisch Familiengeschichte vor dem Hintergrund des Jugoslawienkrieges vor. Foto: Störr Foto: Schwarzwälder-Bote

"Ins Erzählen eingehört" mit Deniz Utlu und Marica Bodrozic

Von Christine Störr

Hausach. Der Hausacher Leselenz besticht durch seine Vielfalt an Veranstaltungen. Am Samstagabend haben viele Gäste den Weg in die Stadthalle gefunden und sich "ins Erzählen eingehört".

Deniz Utlu präsentierte seinen Debütroman "Die Ungehaltenen". Er sei ein Autor mit Migrationshintergrund, wenn er selbst diesen Begriff auch nicht mehr hören könne, führte Robert Renk ein. Als diplomierter Volkswirt beschäftige sich Utlu beruflich mit gesellschaftsarchitektonischen Brücken und schaffe Plätze für einen multikulturellen Austausch. Er verbinde den Beruf mit seiner Berufung und lasse seine Erfahrungen in seinen Roman einfließen. Es sei eine Liebesgeschichte und doch handele es sich im ersten Teil um einen Berlin-Roman und im zweiten Teil um ein Road-movie durch die Türkei – aber eigentlich sei es der Roman des fiktiven Onkels Elias, der dem Protagonisten Schach beibringe – doch auch so gehe es nicht. "Der Roman ist nicht zu fassen, er ist fassungslos und hat keinen roten Faden, dafür Charme hoch drei, der den Leser in seinen Bann zieht", meinte Renk. Deniz Utlu schuf während der Lesung mit poetischer Authentizität dichte Bilder, die den Blick der zweiten Berliner Generation türkischer Mitbürger auf die erste Generation türkischer Einwanderer richteten und damit gesellschaftliche Relevanz bewiesen.

Ganz anders dagegen Marica Bodrozic, die jüngst mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgezeichnet wurde. In ihrem Buch "Mein weißer Frieden" stellt sich die Autorin den Spuren des Jugoslawien-Kriegs, dessen Nachwirkungen auch heute noch im Land spürbar sind. Bodrozic habe bei den Recherchen beschäftigt, wie es sein könne, dass der eine sich erhalte und kein Wolf unter Wölfen werde, während der andere sein Selbst töte und nicht merke, wie sehr er sich verändere. Dabei sei sie besonders von den Frauen in Sarajevo beeindruckt gewesen und von den kleinen Dingen, die Menschen am Leben erhalten hätten: "Von den Dingen, die sie nicht vergessen ließen, dass sie einmal Nachbarn und Freunde waren", erklärte Bodrozic.

Im Gespräch mit Moderator Wolfgang Nies gab Marica Bodrozic Einblicke in ihre eigene Kindheit, die sie in einer Art Nachkriegszeit in Dalmatien verbracht habe. "Ich habe den Krieg mit der Seele erlebt", sagte Bodrozic. Alle Verwandten, die in den Krieg gegangen seien, hätten sich verändert. Allein die Frage nach den zerstörten Häusern in ihrem Heimatdorf habe bei der Recherche-Reise oft zum Rauswurf geführt. Moderator Wolfgang Niess schickte die Frage nach der Ursache für die zerstörerische Kraft dieses Krieges voraus, die ihn während der Lektüre beschäftigt habe. Für die Autorin steht fest: "Kinder, die heute dort aufwachsen, kennen die Wahrheit nicht."

Aufgrund der nicht bearbeiteten Konflikte und alter Feindbilder könnten alte Wunden aufplatzen. "Es ist eigentlich die Kernerzählung Europas: Alle Kriege des 20. Jahrhunderts haben sich in Jugoslawien noch einmal abgespielt", sagte Bodrozic. Ihrem Plädoyer: "Wenn man als Mensch sein Gefühl bewahrt und das Gesicht des anderen sehen kann, verändern kleine Handlungen die Welt" stimmten die Gäste in der gut besuchten Stadthalle mit sehr viel Applaus zu. Was die Politik den Menschen nicht abnehmen könne, sei die Humanität. Allerdings habe der Zynismus mittlerweile Ausmaße angenommen, dass allein die Nennung von Seele und Geist verdächtig wären. "Wir müssen aus unserem unglaublichen Tiefschlaf aufwachen und als denkende Menschen in den Raum eingreifen", gab Marica Bodrozic mit auf den Weg.