Auszug aus dem Verzeichnis der Kinder, die von der Schulspeisung profitierten Foto: Hensle

Vor 70 Jahren wurden mittels der "Schweizer Spende" unternährte und bedürftige Kinder mit Lebensmitteln unterstützt

Der Hungerwinter 1946/47 ein Jahr nach Kriegsende hatte auch Hausach fest im Griff. Am 22. Januar 1947 richtete Bürgermeister Heizmann ein eindringliches Bittgesuch an das Badische Hilfswerk "um Zuteilung von Lebensmitteln zur Durchführung einer Schulspeisung".

Hausach. "Die große Not der Kinder aller Alterstufen" sei "offensichtlich" und durch "Befund unseres Schularztes dargelegt". Bedingt seien Unterernährung und Mangelerscheinungen, "weil schon die geografische Lage, die kalkarmen Kiesböden und die karge landwirtschaftliche Parzellenwirtschaft Hausach in normalen Zeiten zum Zuschußgebiete stempelten". Außerdem seien 70 Prozent der Bevölkerung Arbeiter der Metall- und Holzindustrie. Diesen Eltern falle es besonders schwer, "von ihren eigenen Zuteilungen den Kindern abzugeben, weil ihre Arbeit ohnehin bei dieser Ernährung kaum durchgehalten werden kann".

Das Bittgesuch landete bei der Sanitätshilfe der Centrale Sanitaire Suisse (CSS), Sekretariat Baden-Baden, Kreisstelle Wolfach. Diese war eine überparteiliche Einrichtung der Schweizer Ärzteschaft zur Betreuung derjenigen, "die während des Hitlerreichs aus politischen, rassischen und religiösen Gründen verfolgt und geschädigt wurden". Darüber hinaus wurden auch "alle unterernährten und sonstigen hilfsbedürftigen Kinder betreut und unterstützt".

Zunächst verlangte die Schweizer Sanitätshilfe von der Stadt Hausach Auskunft über Verfolgte des NS-Systems, war aber dann schnell bereit, schon zum 1. März 1947 mit einer Schulspeisung zu beginnen, wie ein Delegierter der "Schweizer Spende" bei einem Besuch in Hausach am 5. Februar erklärte.

Vor Beginn der Schulspeisung war jedoch ein ganz banales Problem zu lösen: das des Essgeschirrs. Dafür war die Zuteilung von 60 Kilogramm Rein-Aluminium für die Aluminiumwerke in Singen nötig, wo entsprechende Esstöpfe hergestellt werden sollten. Nachdem auch die diebstahlsichere Einlagerung der Lebensmittel geklärt war, konnte es tatsächlich zum 1. März 1947 losgehen. Die Lebensmittelhilfe bestand unter anderem aus 240 Kilogramm Bohnen, 160 Kilogramm Linsen, 200 Kilogramm Suppenmehl aber auch aus 100 Kilogramm Kakao-Pulver und 100 Kilogramm Schokolade. Die Zuteilung sollte für 135 Kinder und für 90 Tage gelten, alle 30 Tage mussten die Kinder jedoch "gewechselt" werden. Die Schulspeisung mit wechselnder Teilnahme war wohl dringend vonnöten. Schaut man sich die erhaltenen Zuteilungslisten mit Gewichtsangaben an, so wird deutlich, wie untergewichtig die meisten Schulkinder damals waren.

Als am 24. Oktober 1947 auch für das kommende Jahr eine Schulspeisung durch die "Schweizer Spende" in Aussicht gestellt wurde, schrieb Schularzt Friedrich Katz in einem Gutachten: Zwar seien die Kinder in ihrem "Längenwachstum nicht oder nur unbedeutend zurückgeblieben", ihre Körpergewichte lägen jedoch "durchweg mehr oder weniger weit unter dem Durchschnitt und die Zahl der infolge Unterernährung mageren und blassen Kindern mit tiefen Ringen unter den Augen ist mit 50 Prozent noch durchaus vorsichtig geschätzt".

Nicht nur Schularzt, Lehrerschaft und Bürgermeister baten um Weiterführung der Schulspeisung, auch Privatpersonen setzten sich dafür ein. So wandte sich am 15. Dezember 1947 die gebürtige Schweizerin Anna Wöhrle-Furter mit einem Bittgesuch an ihre ehemalige Heimatstadt Aarau, Kanton Aargau, nicht ohne die deutsche NS-Vergangenheit anzusprechen:

"1928 kam ich durch Eingehung der Ehe nach Hausach in den badischen Schwarzwald, ein Städtchen mit 2300 Einwohnern. Als 1933 ein System eines Adolf Hitler an die Macht gelangte, wurde mir das drohende Unheil klar." Weiter heißt es in dem Schreiben: "Gewiß wäre es eine völlige Verkennung der Lage, das deutsche Volk von der Vergangenheit als schuldlos freisprechen zu wollen, aber man muß es miterlebt haben um zu begreifen, unter welchem propagandistischem und politischen Druck der einzelne Mensch gestanden hat." Zwar sei damals "mancher Giftpfeil" auf die Schweiz abgeschossen worden, von Menschen, "die einer hetzerischen Propaganda zum Opfer fielen, mit der aber die breite Masse, die die Hilfsbereitschaft des Schweizer Volkes schon vom ersten Weltkrieg her kannte, nichts zu tun hatte."

Die gebürtige Schweizerin Anna Wöhrle-Furter erhielt zwar keine Zusage aus Aarau, jedoch die Mitteilung, dass das Bittgesuch an die Zentralstelle "Schweizer-Spende" in Bern weitergeleitet worden sei. Im Frühjahr 1948 wurde die Schulspeisung durch die "Schweizer Spende" wieder aufgenommen, die dann allerdings im selben Jahr endgültig auslief. Die Hausacher Schüler hatten jedoch insofern Glück, als im Jahr 1949 die sogenannte "Hoover-Speisung" des ehemaligen US-Präsidenten Herbert Hoover an deren Stelle trat.

INFO

Zur Person

Der Autor und Historiker Michael Hensle arbeitet derzeit das Stadtarchiv Hausach auf. Seit Anfang des Jahres ist er fest bei der Stadt angestellt.