Foto: Schwarzwälder-Bote

Der pensionierte Lehrer gibt im Camp jugendlichen Flüchtlingen Musikstunden.

Haslach - Stopp, das müssen wir nochmal üben, wir spielen jetzt nur diese eine Stelle. G, D7, G, D7. Und los": Es ist Montag, später Nachmittag. Acht junge Mädchen und Jungen sitzen in der Flüchtlingsunterkunft in Haslach in einem schmucklosen Raum des Container-Dorfs an einem langen Tisch und spielen Gitarre. Angeleitet werden sie von Martin Hartmann, einem seit Sommer dieses Jahres pensionierten Grund- und Werkrealschullehrer aus Haslach.

Noch nicht alle Töne sitzen. Kein Wunder, denn die Hälfte der Gruppe hat gerade einmal drei bis vier Übungsstunden absolviert, die anderen nehmen seit einem halben Jahr an dem wöchentlichen Gitarrenunterricht teil. "Normalerweise teile ich die Jugendlichen in zwei Gruppen mit unterschiedlichen Können ein, aber heute wollte ich alle beisammen haben".

Öffentlicher Auftritt

Geübt wird für den ersten gemeinsamen öffentlichen Auftritt der jungen Gitarren-Virtuosen am morgigen Sonntag im Rahmen einer Nikolausfeier im Flüchtlings-Camp. Zwei Lieder stehen auf dem Programm. Das bekannte "Lasst uns froh und munter sein" sowie "Lasst uns miteinander".

Üben ist also angesagt. "Wir spielen jetzt alle Strophen durch, langsam". Der Einsatz gelingt und im Bummelzugtempo reiht sich ein "lustig, lustig, tralalalala" an das andere. Einige der Jugendlichen, die mit ihren Eltern aus Afghanistan oder Syrien ins Kinzigtal gekommen sind, versuchen mitzusingen – zumindest den Refrain.

"Können wir nicht mal schneller spielen?", ruft einer der Jungen in die Runde. Ihm ist der Nikolaus ein wenig zu gemächlich unterwegs. Und siehe da: Auch im Originaltempo klappt’s recht ordentlich – das kann sich wirklich hören lassen.

Urenkopf-Rap

Martin Hartmann liegt die Musik im Blut. Die Liebe zu ihr entwickelte er schon als Jugendlicher durch das Gitarrespielen in der Jungschar. Und sie hielt auch im Beruf an. Obwohl er Chemie und Mathematik studierte, unterrichtete er nach mehreren Fortbildungskursen immer häufiger das Fach Musik. "Als ich bei meiner ersten Lehrerstelle auf der Schwäbischen Alb einmal meine Gitarre mitbrachte, hieß es gleich, dann könne ich ja auch Musik unterrichten", schildert der gebürtige Haslacher, der ab 1989 an der dortigen Grund- und Hauptschule tätig war, den Beginn seiner "Musikkarriere". Zusätzlich gab er auch privat oder in Arbeitsgemeinschaften Gitarrenunterricht, entwickelte mit der Klasse 4 den Urenkopf-Rap und ist seit 2010 auch Mitglied des Folklore-Ensembles "Primavera".

Im Camp nachgefragt

Im Frühjahr dieses Jahres, als die ersten Flüchtlinge in die Haslacher Schule kamen, erfuhr er, dass ein Flüchtlingsmädchen eine Gitarre geschenkt bekommen hatte. "Ich habe dann bei ihr nachgefragt, ob es noch weitere Mädchen im Camp gebe, die Interesse am Gitarrenspielen hätten. Und nach wenigen Wochen hatte sich eine Gruppe von sechs bis acht Jungen und Mädchen gebildet, denen ich dann jede Woche Gitarrenunterricht gegeben habe – erst in unserer Schule, dann direkt im Camp", so Hartmann. Mittlerweile hat sich die Zahl auf zwölf erhöht, die jetzt in zwei Gruppen unterteilt werden. Dank zahlreicher Spender konnten inzwischen alle mit Instrumenten ausgestattet werden. "Zum Üben wähle ich einfache Stücke mit wenigen Griffwechseln und Akkorden aus." Und so umfasst die von ihm zusammengestellte Liedmappe Titel wie "Von den blauen Bergen kommen wir", "Drei Chinesen mit dem Kontrabass", "Auf der Mauer, auf der Lauer", "Happy Birthday" sowie eben auch Nikolauslieder.

Von Beginn an dabei

Seit Anfang an dabei ist Arezo Ahmadi aus Afghanistan. Sie freut sich über die Möglichkeit, im Camp Gitarrespielen zu lernen. Zuhause habe sie kein Instrument gespielt. "Mein Traum ist es, einmal gut Klavier spielen zu können", so die 17-Jährige, die kurz vor dem Schulabschluss steht. Ein Berufsziel hat sie auch schon. "Ich möchte irgend etwas mit Medikamenten machen. In einer Apotheke zu Beispiel".

Macht einfach Spaß

"Mir bringt das Gitarrespielen einfach Spaß", erklärt Mubaser Latif, warum er sich der Übungsgruppe angeschlossen hat. Auch er hat in seinem Heimatland kein Instrument gespielt. Der Elfjährige findet es nicht leicht, die Lieder einzuüben. Neben dem Text liege das vor allem an den ihm nicht vertrauten Melodien und Rhythmen. Er und seine Freunde Iman und Ruhoollah hören zwar auch einheimische Musik, hauptsächlich aber amerikanische. Ob sie denn vor ihrem ersten öffentlichen Auftritt mit der Gitarrengruppe schon etwas nervös wären? "Ein wenig schon, aber wir haben ja viel geübt".

Die Gitarrengruppe spielt morgen, Sonntag, ab 16 Uhr im Rahmen der vom AK Flüchtlingshilfe mit der Caritas veranstalteten Begegnung im Advent vor dem Flüchtlingscamp.   

Reinhard Kluckert