Während Nona Fridman(links) ein mir unbekanntes Stück vorspielt, lese ich die Noten mit. Gleich danach bin ich dran. Foto: Gräff

Nach zehn Jahren ohne Praxis nimmt Redakteurin Lisa Kleinberger wieder ihre Violine zur Hand

Kurz bevor es losgehen soll, lege ich den braunen Koffer auf den Konferenztisch in der Redaktion. Ich öffne ihn und beäuge skeptisch das sich mir bietende Bild. Meine alte Geige liegt im grünen Samt – und ist augenscheinlich noch intakt. Die Saiten hängen zwar ein wenig durch, aber gerissen ist keine. Ich zupfe sie an. Der Ton, der dabei herauskommt, ist furchtbar. Eine Kollegin dreht sich irritiert um. "Da stimmt überhaupt nichts mehr", sind wir uns einig. Ich stimme nach Gehör über die Wirbel – und bemerke, dass zwei von ihnen lose sind. Hat das Instrument sich verzogen?

Immerhin habe ich es nicht mehr regelmäßig in die Hand genommen, seit ich 2006 mit dem Studium begonnen habe. Der Bruch war plötzlich und hart, ich hatte vom einen auf den anderen Tag keine Zeit mehr. Und das nach einer so langen Verbundenheit mit dem Instrument: Kurz bevor ich beim Gymnasium eingeschult wurde, meldeten meine Eltern mich bei der Musikschule an. Am Gymnasium selbst hatte ich in den ersten zwei Jahren keinen einfachen Musikunterricht, sondern Klassenorchester. Viele von uns wechselten damals nach Ablauf der zwei Jahre in eine neu gegründete Orchester-AG. Der gehörte ich während der gesamten Mittelstufe an. In der Oberstufe ersetzte das Orchester dann wieder den Musikkurs. Dazu kam eine Geigenstunde bei der Musikschule pro Woche.

Die Violine als ständiger Begleiter. Und Sozialfaktor: Im Orchester lernte ich meine besten Freunde kennen, mindestens einmal im Jahr fuhren wir auf einwöchige Probenfreizeiten.

Mit Beginn des Studiums fristete meine Violine ein Schattendasein. Wurde manchmal zu Weihnachten noch hervorgeholt, um für die Familie ein altes Stück zu spielen, und ist inzwischen viermal mit mir umgezogen. Trennen konnte ich mich nie von ihr.

Nun werde ich mit leidlich gestimmtem Instrument im Koffer im Haslacher Haus der Musik von Nona Fridman begrüßt. Die Geigenlehrerin verabschiedet gerade noch eine Kindergruppe in die Ferien, die aufgeregt um mich herumwuselt. Ich bin nervös: Die kurzen Momente der Nostalgie außen vor gelassen, habe ich die Geige tatsächlich gute zehn Jahre nicht mehr in die Hand genommen.

Während Fridman meine Geige stimmt, trage ich Kolophonium auf den Bogen auf. Das getrocknete Harz macht das Rosshaar des Bogens beim Spielen griffiger. "Zwei Saiten sind falsch herum aufgespannt", sagt Fridman, als sie mir die Geige zurückgibt. "Deswegen rutschen die Wirbel so leicht heraus." Ich bin erleichtert. Gleichzeitig auch ein bisschen peinlich berührt, denn die Saiten hatte ich selbst vor einiger Zeit neu aufgezogen. Wenn ich das schon nicht mehr richtig schaffe, wie ist es dann um meine Spielpraxis bestellt?

"Auf welchem Stand haben Sie denn damals aufgehört? Was haben Sie zuletzt gespielt?", fragt die Lehrerin mich. Mir fällt sofort eins der schönsten Stücke ein, die wir zur Weihnachtszeit im Orchester gespielt haben: Der Kanon in D-Dur von Johann Pachelbel. Eher zufällig ziehe ich dann auch noch das entsprechende Notenblatt aus meinem eigenen Instrumentenkoffer. "Dann schaun wir mal", ermuntert mich Fridman, gibt den Takt an – etwas zittrig geht es los.

Und ist ganz schnell wieder zu Ende. Ich treffe die Töne, nach ein paar kleineren Korrekturen stehen Hand und Finger auch wieder richtig am Hals der Geige. Meine Überraschung darüber, dass das noch so gut funktioniert, hat mich wiederum aus dem Takt gebracht. Nach ein paar Anläufen klingt der Kanon dann schon wieder recht passabel zweistimmig durchs Haus der Musik. Die Sechzehntelnoten, die schnellen Läufe, die überfordern mich. Die waren aber auch schon während meiner "aktiven" Zeit nicht besonders leicht für mich zu knacken.

Pachelbel-Kanon ruft Erinnerungen wach

"Haben Sie wirklich zehn Jahre nicht mehr gespielt?" Fridman ist überrascht. Ich mindestens genau so sehr wie sie. Geigespielen ist offensichtlich wie Fahrradfahren. Gleichzeitig ruft der Kanon viele Erinnerungen wach: An die Probenfreizeiten kurz vor großen Konzerten. An die Dramen, die sich zwischen uns Teenagern auf alten Burgen, die im Sauerland zu Jugendherbergen umfunktioniert wurden, abspielten. Dass bei einem wichtigen Konzert ausgerechnet Herr Brenne, der Leiter unserer Musikschule, den Einsatz verpasste und mit seinem Fagott laut in die Generalpause spielte. Daran, dass aus Orchesterkollegen feste Cliquen wurden, die Filmabende mit "Der Herr der Ringe" oder "Fluch der Karibik" veranstalteten, deren Soundtracks wir auch spielten.

Fridman legt mir ein paar Stücke vor, die ich etwas unsicher, aber flüssig vom Blatt spiele, und beginnt, meine Haltung zu korrigieren: Mehr Gewicht auf den Bogen legen, die Armbewegung anpassen, damit er nicht über das Griffbrett streicht. "Sie drehen den auch zu weit ein, damit bekommen Sie nicht den vollen Klang hin", korrigiert Fridman. "Das Problem kenne ich von früher", antworte ich. Manche Dinge ändern sich nie.

Ich denke seit der Geigenstunde darüber nach, ob ich vielleicht mit dem Aufhören wieder aufhören soll. Zweigstellenleiterin Lucia Krämer-Stöhr, die den Kontakt zur Lehrerin hergestellt hatte, dürfte sich freuen, wenn sie zum neuen Musikschuljahr eine weitere Schülerin begrüßen kann.

In unserer Sommerserie "Ich mach’s noch mal" wiederholen Redakteure und Reporter des Schwarzwälder Boten "erste Stunden" von Dingen, die sie geprägt haben oder die für sie inzwischen selbstverständlich geworden sind. Sie erscheint während der Ferien immer mittwochs und samstags.