Fachwerk ist für beide Kinzigtäler charakteristisch: Die malerische Fachwerk-Kulisse am Untermarkt, überragt von der romanisch-gotischen Marienkirche, bildet das Herz der Barbarossa-Stadt Gelnhausen an der hessischen Kinzig. Fotos: Gehringer Foto: Schwarzwälder-Bote

Reportage einer Radtour durch das hessische Kinzigtal / Viele Gemeinsamkeiten mit Schwarzwälder Doppelgänger

Grimmelshausen, Barbarossa und die Brüder Grimm – sie alle weilten einst an der Kinzig. Zugegeben: nicht im Schwarzwald, sondern am gleichnamigen Fluss in Hessen. Was das "andere" Kinzigtal so bietet – der ehemalige SchwaBo-Redakteur Alexander Gehringer, hat’s per Fahrrad erkundet. Im zweiten und letzten Teil ist er von Meerholz bis zur Mündung in Hanau unterwegs.

Meerholz – ein überschaubarer Stadtteil von Gelnhausen, der es aber zu europaweiter Bekanntheit gebracht hat: Hier lag von 2007 bis 2013 der geografische Mittelpunkt der EU. An diese glorreiche Vergangenheit erinnern noch Infotafeln, und auf der "Europäischen Zentral-Ruhe-Bank" lässt sich weiterhin entspannen. Oder soll’s an einem Sommertag lieber ein Sprung ins kühle Nass sein? Dann kommt das Strandbad Kinzigsee bei Langenselbold gerade richtig.

Fließt die Kinzig bis hierhin kaum durch Wälder, so lernt der Radfahrer kurz vor Hanau einen riesigen naturnahen Auwald mit seltenen Tieren und Pflanzen kennen: die Bulau, die auch Reste des Obergermanisch-Rätischen Limes – Weltkulturerbe der Unesco – beherbergt.

Am Ziel unserer Tour, in Hanau, gibt’s ein Wiedersehen mit alten Bekannten: Die Brüder Grimm, hier geboren, grüßen als Bronzedenkmal vor dem Neustädter Rathaus. Jeden Sommer feiert Hanau seine beiden großen Söhne mit mehrwöchigen Märchenfestspielen. Zu den Berühmtheiten der Stadt zählen auch Paul Hindemith und Rudi Völler. Das Deutsche Goldschmiedehaus, das Hessische Puppenmuseum und den Wildpark Alte Fasanerie sollte sich der Tourist nicht entgehen lassen – ebenso das prächtige Barockschloss Philippsruhe mit seinen Kunstsammlungen und dem einzigen Papiertheater-Museum Deutschlands. Wenige hundert Meter entfernt hat die Kinzig ihr Ziel erreicht – nach 86 Kilometern mündet sie in den Main.

Und was hat das hessische Kinzigtal nun so alles mit seinem Schwarzwälder Doppelgänger gemeinsam? Weit mehr als nur schmucke Fachwerkstädte – wenngleich diese für beide Regionen prägend sind, wobei sich Bad Orb übrigens des schmalsten Fachwerkhauses in Hessen (stellenweise nur 1,58 Meter breit) rühmen darf. Der Eisenbahn-Fan stellt mit Freuden fest, dass er – wie in Hausach – auch in Schlüchtern eine Modellbahn nach realem Vorbild findet. Ebenso kommen Dampfzug-Freunde zwischen Rhön und Spessart auf ihre Kosten: Auf der Fahrt mit der Kleinbahn Wächtersbach–Bad Orb und der Museumsbahn Hanau.

Überdies laden auch im hessischen Kinzigtal mehrere Ruinen zu prächtigen Ausblicken ein – so die Burgen Steckelberg bei Schlüchtern und Stolzenberg bei Bad Soden-Salmünster. Im Erlebnispark Steinau erwartet die großen und kleinen Besucher – neben weiteren Attraktionen – wie in Gutach eine Sommerrodelbahn. Weltbekanntes Keramikgeschirr kommt nicht nur aus Zell am Harmersbach, sondern auch aus Wächtersbach; Pilger können an der badischen wie an der hessischen Kinzig den Jakobusweg erwandern. Und wer zur stillsten Zeit des Jahres in Hanau weilt, muss nicht mal auf den Rathaus-Adventskalender verzichten; Gengenbach lässt grüßen.

In Hessen gibt es kuriosere Ortsnamen

Kaum Gemeinsamkeiten zeigen hingegen die Ortsnamen beider Regionen: Einzig die Bezeichnung Breitenbach teilen sich ein Schlüchterner Stadtteil und ein Hausacher Seitental. Wenn’s um kuriose Ortsnamen geht, hat übrigens das hessische Kinzigtal klar die Nase vorn – mit dem erwähnten Sterbfritz genauso wie mit Lieblos oder Linsengericht.

Und auch hinsichtlich früherer Engstellen im "Städtle" müssen sich Haslach und Hausach den Hessen geschlagen geben: Nur drei Meter Breite sind kaum zu unterbieten – so viel misst die Pfarrgasse in Gelnhausen, engste Stelle der alten Handelsstraße Leipzig–Frankfurt.

Stichwort Verkehrswege: Eindeutig ruhiger liegt der badische Kinzigtal-Radweg – sein hessisches Pendant führt stellenweise nahe an der Autobahn statt am Fluss vorbei. Gleichstand herrscht wiederum bei der Fahrradfreundlichkeit der Bahnhöfe; hier hat die Bahn in beiden Kinzigtälern noch Hausaufgaben zu machen. Dennoch: Egal ob mit Rad, Zug oder Auto, die Heimat von Grimm und Grimmelshausen ist eine Reise wert – dank ihres mittelalterlichen Flairs und ihres kulturellen Erbes. Und nicht zuletzt auch, weil zwischen ihr und der Ortenau historische Verbindungen bestehen: Die hessische Kinzig mündet bei Hanau – die badische unweit des Hanauerlands, benannt nach der Grafschaft, die diesen Landstrich einst beherrschte. Nur wenige Kilometer davon entfernt, in Renchen, wirkte Grimmelshausen als Schultheiß und verfasste den "Simplicissimus".

Bleibt noch die Frage: Welches Kinzigtal ist das hübschere? Das relativ enge badische mit seinen eher steilen Bergen, dem bewaldeten Oberlauf und dem Rebland vor Offenburg – oder doch das breite hessische Kinzigtal mit flacheren Hängen und weitläufigen Fluss-Auen? Nun, das muss jeder für sich selbst entscheiden – der Tipp kann nur lauten: Einfach mal beide erlebt haben!            Alexander Gehringer