Handel ist Wandel, sagt ein Sprichwort: Weder die Kosmetik- noch die Telekommunikationsbranche überzeugten Anna Hübner. Sie macht Karriere bei einem Tierfutter-Händler. Foto: Fressnapf

Die Handelsbranche ist durchlässig und verändert sich laufend. Das eröffnet engagierten Mitarbeitern Chancen, schnell aufzusteigen.

Maik Helsing aus Schwedt in Brandenburg hat Kfz-Elektriker gelernt. Seit 2010 aber arbeitet der heute 33-Jährige beim Online-Optiker Mister Spex in Berlin. Seine Berufsbezeichnung: Senior Frontend Developer. Er entwickelt Internetseiten. Helsing sorgt dafür, dass der Web-Shop, also das Schaufenster des digitalen Optikerladens, attraktiv wirkt und möglichst viele Kunden zum Kauf von Brillen, Sonnenbrillen und Kontaktlinsen animiert. Zu Mister Spex kam Helsing durch eine Initiativbewerbung. 'Online-Optiker waren damals noch Exoten', erinnert sich der Quereinsteiger.

Er war 2010 noch skeptisch, wie man Brillen via Internet verkaufen kann. Nach einem Probearbeitstag, an dem er eine Aufgabe als Programmierer lösen musste und ihm gezeigt wurde, wie man Brillen online dem Gesicht des Kunden anpassen kann, verflog seine Unsicherheit. Er bekam den Job als Software-Entwickler. Heute leitet er neue Kollegen in seinem Bereich an. Eine so schnelle Karriere wie die von Maik Helsing ist laut Torsten Alfes von der Personalberatung Rochus Mummert in Düsseldorf typisch für die Branche. Er hat viele junge Leute mit sehr unterschiedlichen Schul- und Hochschulabschlüssen innerhalb kurzer Zeit in Handelsunternehmen aufsteigen sehen: 'Dieses Wirtschaftssegment ist sehr durchlässig und verändert sich schnell.' Daraus entstehen Chancen für Akademiker, aber auch für Nicht-Akademiker. Alfes: 'Beste Voraussetzungen für eine Führungsposition haben Wirtschaftswissenschaftler.

Ehrgeiz wird belohnt

Doch auch mit einem Hauptschulabschluss, kombiniert mit einer Lehre im Einzelhandel, kann der Grundstein für eine steile Karriere gelegt werden.' Wichtig sei es, sich neben dem Job weiterzubilden und Abschlüsse nachzuholen. Arbeitgeber unterstützen es häufig, wenn ein junger Mitarbeiter ehrgeizig ist und sich beruflich entwickeln will. Ein Ziel kann der Handelsfachwirt sein. In der Abendschule dauert ein Lehrgang dafür zwei Jahre. Infos gibt es bei den Handelskammern. Schätzungen zufolge besitzen nur etwa zehn Prozent aller Angestellten im deutschen Handel einen Hochschulabschluss.

Das ist weniger als in den meisten anderen Branchen. Doch das kann sich bald ändern: Handelshäuser wie Metro, Aldi, Obi und Toom suchen derzeit vor allem Fach- und Führungskräfte mit akademischem Titel. Ein Beispiel ist Anna Hübner aus Rutesheim bei Stuttgart: Nach dem Abi studierte sie in Pforzheim Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing. Die 29-Jährige absolvierte während dieser Zeit Praktika - eines bei L'Oréal in Düsseldorf und eines bei debitel in Stuttgart. Weder die schillernde Kosmetikbranche noch die Welt der Technik überzeugten die junge Frau.

'Ich suchte ein Unternehmen, mit dessen Kultur und Produkten ich mich identifizieren konnte', sagt sie. Anna Hübner bewarb sich um ein internationales Traineeprogramm beim Tierfutter-Händler Fressnapf in Krefeld - und bekam eine Zusage. Ein Jahr lang lernte die Absolventin ausgewählte Abteilungen des Unternehmens kennen. In den Bereichen Produktmanagement und internationaler Einkauf betreute sie als Trainee in dieser Zeit bereits eigene Projekte. Auch ins Ausland durfte sie. In der Frankreich-Zentrale nahe Lyon lernte sie die Heimtierbranche der linksrheinischen Nachbarn kennen. Nach ihrer Festanstellung arbeitete sie auch in der Schweiz, in Österreich und Irland. Heute gestaltet sie als Junior Category Manager das Fressnapf-Sortiment. Personalberater Alfes: 'Wer im Handel Karriere machen will, sollte ein sehr gutes analytisches Verständnis haben.'

Aussagekräftiger als 1000 Studien

Täglich würden Statistiken sowie Verkaufs- und Kundenanalysen erstellt. Zum Beispiel zeigen Marketinginstrumente den Einfluss des Wetters auf die Kauffreudigkeit. 'Solche Informationen müssen schnell ausgewertet und in eine Strategie umgesetzt werden', konstatiert Alfes. Einkäufer in großen Handelsunternehmen müssten aufgrund der Zahlen entscheiden, ob eine Sortimentsänderung betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. 'Das war vor zehn Jahren anders', sagt Alfes. Früher seien Entscheidungen nach individuellen Erfahrungen getroffen worden: 'Heute ist das viel mehr Mathematik.'

Trotzdem dürfen Handelsexperten keine Scheu davor haben, auf Kunden zuzugehen und nachzufragen. Denn oft sind die Antworten auf die einfache Frage 'Was kann ich für Sie tun?' aussagekräftiger als 1000 Statistiken. Als Karrierebeschleuniger im Handel gelten Fremdsprachen und interkulturelle Kompetenz. 'Englisch ist Pflicht', sagt der Personalberater. Der Grund: Umsatzwachstum wird oft über Expansionen in neue Märkte erreicht. Und diese befinden sich meistens im Ausland. Ein Wermutstropfen bei einer Berufslaufbahn im Handel sind die Arbeitszeiten: Diese sind lang und nicht gerade familienfreundlich. Man steht auch am Tresen oder Regal, wenn andere Menschen freihaben - am Wochenende oder am Abend. Und die Bezahlung ist in den Verkaufsräumen meist schlecht. Leitende Angestellte werden mancherorts gut bezahlt, laut Alfes 'ähnlich wie in anderen Industrien'.

Das Staufenbiel Institut hat Einstiegsgehälter für Hochschulabgänger in Handelsunternehmen unter die Lupe genommen. Ergebnis: los geht es für die meisten bei rund 40 000 Euro im Jahr.