Stefan Kretzschmar: Seine neue Aufgabe bei Sky lässt ihm keine Zeit, als WM-Botschafter tätig zu sein. Foto: dpa

An diesem Samstag startet die Handball-Bundesliga der Frauen, im Dezember geht die WM im eigenen Land über die Bühne. Für den ehemaligen Weltklassespieler Stefan Kretzschmar ist dies die letzte Chance für den Frauenhandball – wie sie genutzt werden kann, sagt er im Interview.

Stuttgart - Seine Mutter war eine Weltklassespielerin, seine Tochter gehört zu den größten Talenten im deutschen Handball. Vor allem deshalb verfolgt der frühere Weltklasse-Linksaußen Stefan Kretzschmar den Frauenhandball intensiv – und hat seine früheren Vorbehalte inzwischen revidiert.

Herr Kretzschmar, eine Fachfrage zum Einstieg: Wie viele Frauen-Bundesligisten kommen aus Württemberg?
Das geht ja gleich gut los. (Überlegt) Metzingen, Bietigheim. Noch einer?
Noch drei.
Noch drei? Welche?
Frisch Auf Göppingen . . .
Frauenhandball?
Ja. Auch Frauenhandball, dazu noch der TV Nellingen und die Neckarsulmer Sport-Union.
Habe ich auch schon mal gehört, war mir aber so nicht präsent.
Und Sie bestätigen damit Ihre frühere Aussage, dass das Leben zu kurz sei, um sich mit Frauenhandball zu beschäftigen.
Da war ich wohl Mitte 20. Nein, nein, es hat sich viel verändert. Und ich habe meine Meinung wirklich revidiert. Ich habe durchaus ein Herz für den Frauenhandball, nur nicht die Zeit, mich intensiv darum zu kümmern.
Sie haben ja auch einen direkten Bezug: Ihre Mutter Waltraud machte 217 Länderspiele, Ihre Tochter Lucie-Marie spielt in der Jugend-Nationalmannschaft.
Hinzu kommt, dass einer meiner besten Freunde, Michael Biegler, auch noch der Bundestrainer ist. Der persönliche Bezug ist da. Vor allem wegen meiner Tochter verfolge ich das Ganze schon sehr interessiert.
Bei der EM im August in der Slowakei, als die deutsche U 17 den Titel holte, war sie zuletzt aber nicht dabei.
Sie hat sich im letzten Vorbereitungsländerspiel zwei Bänder gerissen. Das war schon tragisch. Ich kenne das Gefühl selbst von 2004, als die Nationalmannschaft ohne mich den EM-Titel in Slowenien holte.
Wie sehr braucht denn das Gesamtprodukt Handball den Frauenhandball?
Der Handball beansprucht Platz zwei bei den beliebtesten Mannschaftssportarten. Darum sollten möglichst viele Menschen in Deutschland Handball spielen. Wir brauchen jedes Kind. Also ist es wichtig, den Mädchen- und Frauenhandball zu fördern, die Rolle der Frau im Handball aufzuwerten.

Live-Übertragung der WM immer noch ungeklärt

Experten sagen, die WM im eigenen Land vom 1. bis zum 17. Dezember sei die letzte Chance für den deutschen Frauenhandball.
Es ist die letzte Chance. In Nordeuropa spielt der Frauenhandball eine große Rolle, bei uns interessiert sich nur ein Spartenpublikum dafür. Die WM könnte eine Euphoriewelle auslösen, die bis in die Vereine hinüberschwappt. Aber wie ich gehört habe, läuft das Ticketing bisher noch nicht rund.
Rund 100 000 Tickets sind abgesetzt, der DHB hat einen Verlust von einer halben Million Euro offenbar eingeplant – als eine Art gut angelegte Investition.
Ich weiß schon: Die Frauen-WM dient als eine Art Testlauf für die Männer-WM 2019. Daraus lassen sich bestimmt auch Erkenntnisse gewinnen. Aber entscheidend sollte doch sein, dass der Frauenhandball durch die WM aus seinem Schattendasein tritt.
Wird er es auch?
Entscheidend sind zwei Dinge. Zum einen macht der Deutsche die Fahne ans Auto und schminkt sich schwarz-rot-gold, wenn seine Nationalmannschaft das Halbfinale erreicht. Dann geht’s doch erst richtig los. Dieser sportliche Erfolg ist das eine.
Das Zweite ist die mediale Begleitung.
Und da sehe ich das größte Problem. Noch immer ist offen, ob überhaupt von der Heim-WM Livebilder im TV zu sehen sind. Bleibt die Mattscheibe schwarz, wäre das eine Megakatastrophe. Dann würden die Ziele definitiv nicht erreicht werden. Auch wirtschaftlich hätte das negative Folgen.
Wird der Frauenhandball im DHB nur als lästige Pflicht angesehen?
Er wird schon etwas stiefmütterlich behandelt. Aber Bob Hanning (Anm. d. Red.: DHB-Vizepräsident Leistungssport) mache ich da gar keinen Vorwurf. Er ist nicht der große Förderer des Frauenhandballs, weil er nicht aus diesem Bereich kommt. Er kann sich auch nicht um alles kümmern.
Die Konsequenz daraus wäre?
Dass man beim DHB jemanden Hauptamtliches findet, der sich rund um die Uhr um den Frauenhandball kümmert und dessen Interessen vertritt. Der Frauenhandball ist doch extrem attraktiv. Da hat sich gegenüber den 1990er Jahren enorm vieles verändert.
Was konkret?
Man kann bei der Vermarktung doch mit der Optik arbeiten. Ich will den Fußballerinnen wirklich nicht zu nahe treten, aber wir haben doch enorm viele hübsche Handball-Mädels. Das sind Hingucker. Das ist doch etwas fürs Auge. Da lässt sich zum Beispiel in Sachen Mode viel machen.
Was muss der Markenkern sein?
Unser Männer-Nationalteam – das sind die Bad Boys. Der offizielle Slogan für die Frauen-WM heißt „simply wunderbar“. Das ist schon mal gut. Männerhandball ist athletisch, Frauenhandball ist sexy, Frauen spielen schönen und technisch anspruchsvollen Handball.
Das muss man herausstellen?
Klar. Das ist der Markenkern. Damit muss man spielen. Wenn das gelingt, dann hat der Frauenhandball eine Daseinsberechtigung. Das muss die Nische sein.

Bieglers Abgang schwer zu kompensieren

Das Nationalteam ist mit Blick auf die WM auf einem guten Weg. Aber nach den Titelkämpfen lotsen Sie den bisher so erfolgreichen Bundestrainer nach Leipzig.
Das tut mir leid. Aber ich bin nun mal Aufsichtsrat beim Männer-Bundesligisten SC DHfK Leipzig. Und wir mussten nach dem Weggang von Christian Prokop als Männer-Bundestrainer diese Stelle wieder top besetzen. Da kamen nicht so viele infrage.
Was zeichnet Michael Biegler aus?
Er ist einer der besten und talentiertesten Trainer der Welt. Fragen Sie die Mädels – die gehen für „Beagle“ durchs Feuer.
Was trauen Sie dem Team bei der WM zu?
Das Team sollte das Halbfinale in Hamburg erreichen. Eine Medaille liegt drin.
Wer wird sein Nachfolger als Frauenbundestrainer – Sie vielleicht?
(Lacht) Ich habe für vier Jahre plus zwei Jahre Option bei Sky unterschrieben. Dann bin ich 50. Dann ist Feierabend. Ich werde kein Trainer mehr in diesem Leben. Vielleicht wird ein Coach aus der Bundesliga „Beagles“ Nachfolger, etwa Dirk Leun aus Buxtehude, oder einer aus der erfolgreichen holländischen Trainergilde.
Warum sind Sie eigentlich kein Botschafter für die Frauen-WM?
Das Leipziger Organisationskomitee hat angefragt. Aber ich habe keine Zeit. Mein neuer Vertrag mit Sky lässt mir da keine Chance.
Fachfrage zum Abschluss. Wer wird deutscher Meister?
Der Thüringer HC hat aufgerüstet und gute Chancen, Bietigheim und Metzingen werden bestimmt auch ganz vorne mitmischen.
Und dann gibt es ja noch drei weitere württembergische Teams . . .
. . . ich weiß insgesamt fünf. Das habe ich heute gelernt.