Nach der Gruppenvergewaltigung und dem Tod des 16-jährigen Opfers sind viele Menschen in Indien auf die Straße gegangen. Foto: dpa

Eine junge Inderin zeigt zwei Vergewaltigungen an. An Silvester ist sie tot. Polizei und Politik werden mit verantwortlich gemacht. Ist ein Jahr nach der Gruppenvergewaltigung in Delhi alles beim Alten?

Eine junge Inderin zeigt zwei Vergewaltigungen an. An Silvester ist sie tot. Polizei und Politik werden mit verantwortlich gemacht. Ist ein Jahr nach der Gruppenvergewaltigung in Delhi alles beim Alten?

Kolkata - Sechs Männer lauern in der Kleinstadt Madhyamgram in Indien einer 16-Jährigen auf, schleppen sie in ein Bauernhaus und vergewaltigen sie nacheinander. Die Schülerin nimmt all ihren Mut zusammen und geht zur Polizei, trotz der Gefahr, als unehrenhaft zu gelten, aus der Gesellschaft ausgestoßen zu werden und Schande über ihre Familie zu bringen. Die Täter erfahren davon, und vergehen sich als Strafe für die Anzeige noch einmal an ihr.

So berichteten es indische Medien in den vergangenen Tagen - da war die junge Frau schon tot. Sie starb an Silvester an schweren Verbrennungen, die ihr von Bekannten der Vergewaltiger zugefügt worden sein sollen. Diese verschafften sich laut den Berichten Zugang zur Wohnung der Familie, übergossen die 16-Jährige mit Benzin und legten Feuer. „Sie wurde angezündet, damit sie vor Gericht nicht aussagen kann. So fällt der Vergewaltigungsvorwurf nämlich in sich zusammen“, sagte ihr verbitterter Vater dem Nachrichtensender NDTV.

Seit dem grausamen Tod des Mädchens ist der Bundesstaat Westbengalen in Aufruhr, Protestzüge ziehen durch Kolkata (früher Kalkutta), und vielerorts in Indien wird diskutiert, ob sich ein Jahr nach der tödlichen Gruppenvergewaltigung in Neu Delhi nichts verändert hat. Ob Indien noch immer Frauen verachtet - trotz schärferer Gesetze gegen Sexualstraftäter, medialer Aufmerksamkeit für solche Fälle und zahlloser Kampagnen. Am 16. Dezember 2012 war in der indischen Hauptstadt eine Studentin vergewaltigt und gefoltert worden. Knapp zwei Wochen nach der Tat starb sie.

Schwere Vorwürfe werden gegen die Polizei laut

Schwere Vorwürfe werden vor allem gegen die Polizei laut. Warum schützte sie die 16-Jährige nicht, nachdem sie sich den Beamten anvertraut hatte? Wieso konnten Männer, die von dem Vorfall hörten, das Mädchen nach den Vergewaltigungen im Oktober über Wochen hinweg immer wieder belästigen, ohne dass etwas unternommen wurde? Wieso wurde keine psychologische Hilfe angeboten, als die Familie wegen des Traumas umziehen musste?

Besonders tragisch, und eine weitere Parallele zur Gruppenvergewaltigung in Neu Delhi: Die Familie war nur deswegen einige Monate zuvor in den Vorort von Kolkata gezogen, weil das Mädchen dort auf bessere Bildung hoffte. „Sie wollte Lehrerin werden und die Familie aus der Armut führen. Nun sind all unsere Träume zerstört“, sagte ihre Mutter der Zeitung „Times of India“. Mittlerweile wurden sechs Verdächtige festgenommen. Und die Polizei fand heraus, dass das Opfer schwanger war - von wem, ist noch unklar.

Auch die Regierung von Westbengalen steht in der Kritik. Denn nach dem Tod des Mädchens sollen Polizisten versucht haben, den Leichnam überhastet und mitten in der Nacht wegzuschaffen und einzuäschern. Damit sollte wohl verhindert werden, dass die Familie nicht wie geplant einen Leichenzug durch Kolkata organisieren kann, um öffentlich auf ihr Leid hinzuweisen, vermuten Oppositionspolitiker. Regierungsmitglieder hingegen unterstellen den linken Parteien, sie wollten den Tod des Mädchens politisch instrumentalisieren und für Proteste gegen die Regierung nutzen. „Auch wenn das stimmt: Das ist doch egal, denn sie protestieren für die richtige Sache“, sagt die Feministin Kamla Bhasin.

Das Schweigen müsse gebrochen werden, auch um den Opfern zu zeigen, dass sie nicht bloß Einzelfälle sind, erklärt Gopa Basu. Sie organisierte am Donnerstag mit mehr als 30 zivilgesellschaftlichen und Frauenrechtsgruppen eine große Kulturveranstaltung, um auf die physische und psychische Gewalt gegen Frauen in Indien aufmerksam zu machen - und das ausgerechnet in Kolkata. „Die Opfer sollen den Mut haben, den Mund aufzumachen“, meint Basu. „Wir müssen den Übeltätern zeigen, dass wir keineswegs gewillt sind, das länger hinzunehmen.“