Jugendliche greifen zu Heroinersatz. Grosselfinger Ehepaar will Eltern Hilfestellung geben.
Grosselfingen/Bisingen - Viele Eltern erkennen oft erst spät, dass ihre Kinder suchtkrank sind. In Grosselfingen und Bisingen gibt es wohl einige Fälle. Dabei geht es unter anderem um die Droge "Crocodile", Marihuana und Alkohol. Barbara und Adalbert Gillmann aus Grosselfingen haben eine Selbsthilfegruppe für Eltern suchtkranker Kinder im Zollernalbkreis ins Leben gerufen. Als ehemals selbst Betroffene erzählen sie von ihren Erfahrungen und von Fehlern, die Eltern machen, wenn sie von der Sucht ihres Kindes erfahren.
Lässt sich ungefähr abschätzen, wie viele suchtkranke Kinder und Jugendliche es in Grosselfingen und Bisingen gibt?
Adalbert Gillmann: Ich habe keine Zahlen. Aber mir ist bekannt, dass es viele Fälle gibt. Es sind viele Drogen im Umlauf, Alkohol sowieso. Das Vorglühen ist ja heutzutage normal.
Welche Süchte sind hier am meisten verbreitet?
Adalbert: Medikamentensucht ist am meisten verbreitet, gefolgt von Alkohol. Danach kommen Internetsucht und Drogen ungefähr auf gleichem Level.
Sind da auch harte Drogen dabei?
Adalbert: Ja natürlich. Es gibt alles.
Barbara Gillmann: Die gefährlichste Droge, die im Umlauf ist, ist "Crocodile". Das ist ein billiger Ersatz für Heroin. Mit jeder Spritze geht eine Körperstelle kaputt. Die Lebenserwartung beträgt bei Süchtigen ein bis drei Jahre.
Woran erkenne ich die Sucht des Kindes?
Adalbert: Die Kinder verändern sich. Schule, Ausbildung oder Beruf werden vernachlässigt, sie ziehen sich zurück, geben alte Freundschaften und Hobbys auf. Es kommt oft zu Stimmungsschwankungen und Wutausbrüchen.
Barbara: Ein einfaches Erkennungszeichen bei Drogen sind die vergrößerten Pupillen.
Was sind die größten Fehler der Eltern, wenn sie die Sucht erkannt haben?
Adalbert: der größte Fehler ist, wenn man denkt, es darf nicht rauskommen und man versucht alles zu vertuschen. Man spricht da auch von Co-Abhängigkeit. Man reagiert nur noch auf die Vorfälle und versucht sie geheim zu halten. Meistens wissen Nachbarn und andere aber bereits Bescheid.
Barbara: Ein weiterer Fehler ist, dass man ihnen Geld gibt. Jeder Cent wird dann in die Sucht umgesetzt.
In welchem Alter sind die meisten suchtkranken Kinder in der Umgebung?
Adalbert: Das Einstiegsalter ist ungefähr zwischen 14 und 16 Jahren.
Barbara: In der Pubertät ist bei den meisten die Einstiegszeit, in der Findungsphase.
Wie alt sind die Jüngsten?
Adalbert: Es gibt vereinzelte Fälle ab zwölf Jahren. Die meisten fangen mit 14 an Cannabis zu rauchen. Sie sagen, das sei nicht so schlimm, es sei keine Einstiegsdroge. In Wahrheit ist Cannabis das aber doch.
Wie groß ist die Hemmschwelle für die Eltern zur Suchtberatung zu gehen?
Adalbert: Es ist im ersten Moment sehr schwierig, weil man preisgeben muss, dass das Kind süchtig ist. Das ist immer noch ein Tabuthema. Barbara: Die Hemmschwelle ist schon sehr groß.
Erkennen viele das Problem erst, wenn es quasi zu spät ist?
Adalbert: Viele erkennen es erst, wenn sie am Boden sind, wenn sie nächtelang nicht mehr schlafen können. Zu spät kann man aber nicht sagen. Es ist nie zu spät. Der Suchtverlauf geht ja über Jahre. Das ist ein langer Prozess. Bis ungefähr 25 Jahre schaffen einige noch den Absprung.
Sie waren als Eltern bereits betroffen. Was macht das mit einem?
Barbara: Man sieht nicht mehr das Kind, sondern nur noch das Problem. Das ist das Schlimmste, wenn man so weit ist.
Adalbert: Wir sind dann auch in Streit geraten und haben versucht, uns gegenseitig auszuspielen. Man ist gedanklich ständig beim Kind. Das hat bei mir zu schweren Depressionen mit mehreren Klinikaufenthalten geführt.
Was sagen Sie Eltern, die sich nicht trauen, sich an die Selbsthilfegruppe zu wenden?
Barbara: Sie können auch gerne einen Brief schreiben. Wenn sie länger Zeit brauchen, sollen sie sich diese nehmen. Sie sollen sich darauf vorbereiten und nicht unter Zwang kommen.
Adalbert: Beim ersten Mal denken viele: Oh je, jetzt denken alle, wir waren nicht in der Lage, unser Kind zu erziehen. Doch wenn sie dann von ihrem Problem erzählen, können sie aufatmen. Das ist der erste Moment, in dem man wieder etwas Freiheit spürt. Wenn man in die Gruppe geht, hat man einen Rückhalt. Das ist ein wichtiger Punkt: Man ist nicht allein.
Weitere Informationen:
Einen Infotag veranstaltet die Elternselbsthilfe Zollernalbkreis für suchtgefährdete und suchtkranke Töchter und Söhne am Samstag, 24. September, von 14 bis 17 Uhr im Vortragsraum der AOK in der Hirschbergstraße in Balingen. Das Programm beinhaltet einen Vortrag von Magdalena Dieringer über die diakonische Suchthilfe und Renate Liener-Kleinmann wird über die Unterstützung der Selbsthilfegruppen durch die AOK sprechen. Zudem wird sich die Selbsthilfegruppe Zollernalb vorstellen und Brigitte Hansen wird aus ihrem Buch "Das Ende war der Anfang" lesen. Es ist eine Mutter, die alle Höhen und Tiefen durchlebt hat und das Buch geschrieben hat.