Das Narrengericht ist ein fastnachtliches Heimatspiel das bis auf Jahr 1439 zurückgeht. Foto: dpa

Traditionelles Narrenspiel steht nun im deutschen Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UN-Bildungsinstitution.

Grosselfingen - Was soll schon aus einer Fastnachts-Veranstaltung werden, in der ein mit Schweineschwänzen gefüllter Krauthafen herumgetragen wird? Viel! Das Grosselfinger Narrengericht hat es damit zum Unesco-Kulturerbe geschafft. Genauer gesagt: Das traditionelle Narrenspiel der kleinen Gemeinde am Rand der Schwäbischen Alb im Zollernalbkreis steht nun im deutschen Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UN-Bildungsinstitution.

Natürlich ist der Krauthafen nur ein kleiner Teil des komplexen Narrenspiels, dessen Wurzeln ins Mittelalter zurückreichen, das in vielschichtigen Szenen den Kampf von Gut und Böse, Sommer und Winter darstellt. Sonst hätte sich das Narrenspiel nicht unter 128 Bewerbungen durchgesetzt, die seit Mai 2013 ein Auswahlverfahren auf Landes- und Bundesebene durchliefen. Sieben wurden am Ende ausgewählt.

»Ich habe das während der Arbeit im Radio gehört, klar ist das eine tolle Sache«, sagt gestern Jürgen Beck, der als Zeugwart im Narrengericht-Vorstand ist, unserer Zeitung. Die Aufnahme in die Liste sei eine »Riesenehre«. Beck ist einer von etwa 350 kostümierten Männern und Burschen, die aufgeteilt in zahlreiche Kostümrollen mitspielen. Eine große Mitspielerzahl angesichts der Tatsache, dass nur Grosselfinger Männer mitmachen dürfen – und dass der Ort 2100 Einwohner zählt.

Was sich in Grosselfingen das nächste Mal im Jahr 2019 abspielen wird, ist eine Mischung aus Straßentheater und Fastnachtsspiel. Da gibt es »Hanswurste« mit bunt karierten Anzügen und spitzen Hüten, die Knüppel-Musik, mit Peitschen schlagende Geißelläufer, Burschen mit Kunstblumen-Kronen, Husaren mit Holzsäbeln und nicht zuletzt den Narrenvogt samt seinem »venezianischen« Rat, der in einer Gerichtsverhandlung mit Politikern und anderen Prominenten stets kurzen Prozess macht. Die Urteile werden gleich um die Ecke auf dem Marktplatz vollstreckt. Vor großem Publikum setzt der »Bäder« die Delinquenten auf eine Pritsche, seift sie ein und rasiert sie mit grobschlächtigem Werkzeug.

Außerdem erfolgreich: das Schützenwesen, das Kneippen oder auch die Volkstanzbewegung

Aber es gibt noch viele weitere Handlungsstränge. Beispielsweise die Prozession mit dem Krauthafen, der aus dem Pfarrhaus abgeholt und ins Gasthaus geschleppt wird. Oder die zentralen Szenen mit dem Sommervogel, einer weißen Taube, die die Narren in Liedern hochleben lassen, bis sie von Räubern stibitzt wird. Ein bestürztes Durcheinander bricht aus. In einer wilden Jagd werden die bösen Gesellen gefangen, zum Tod verurteilt, dann aber gnadenhalber doch nur in den Dorfbrunnen getaucht.

Dieses Spiel wiederholt sich in Grosselfingen fast unverändert seit Jahrhunderten. Im 15. Jahrhundert hätten die einstigen Herren von Grosselfingen, die Ritter von Bubenhofen, das Spiel aus Venedig mitgebracht, wohin sie sich vor der Pest geflüchtet hätten, wird erzählt.

Im Staatsarchiv Sigmaringen finden sich Statuten der Marienbruderschaft Grosselfingen von 1623, die einst das Narrengericht organisierte. Vom frühen 18. Jahrhundert liegen Protokolle der Sitzungen des Narrengerichts vor. Das »Geographische Magazin« berichtet 1783, dass sich die Grosselfinger einmal im Jahr »wie Harlequine kleiden und die Freiheit haben, einem jeden, der an diesem Tag in ihren Bezirk kommt, eine Strafe aufzuerlegen, und ihm die trokne Warheit ins Gesicht zu sagen«.

Mittlerweile findet das Narrengericht nur noch alle vier Jahre statt, der Aufwand für die Inszenierung ist immens. Die Kulturerbe-Auszeichnung sei eine tolle Motivation, diese Tradition fortzusetzen, sagt Zeugwart Beck. Denn wirklich schützen könne diese Tradition nicht die Unesco, »das müssen wir schon selber machen, indem wir das Spiel immer wieder aufführen«.

Nicht nur die Grosselfinger feiern: Auch das Sternsingen, das Schützenwesen und das Kneippen stehen künftig auf der Unesco-Liste. Weitere Neueinträge sind das Choralsingen, die Volkstanzbewegung und die manuelle Glasfertigung. Die sieben Vorschläge waren von der Kultusministerkonferenz und von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bestätigt und damit ins bundesweite Verzeichnis aufgenommen worden.

Für Manfred Stingel und die Volkstanzgruppe Balingen-Frommern im 50. Jahr ihres Bestehens eine schöne Nachricht: »Dazu gehören traditionelle Musik, Gesang, Trachten, in unserem Fall auch Jugendarbeit und internationaler Kulturaustausch«, sagt er unserer Zeitung.

Auch Christoph Wulf, Vorsitzender des Expertenkomitees zum Immateriellen Kulturerbe, lobt: »Unser kulturelles Erbe manifestiert sich nicht nur in Monumenten.« »Es ist Ausdruck unserer sich ständig weiterentwickelnden Identität.«

Die Nächsten, die auf die Liste wollen, stehen schon in den Startlöchern: Als deutsche Nominierung für die internationale Unesco-Liste wird 2016 »Orgelbau und Orgelmusik« eingereicht.