Ein Sachverständiger hat vor dem Landgericht Tübingen die Psyche des Messerstechers beschrieben. (Symbolfoto) Foto: dpa

Grosselfinger stach Frau in Hals. Zuvor wollte er die Ehe retten. Psychologe spricht von "feinfühligem" Mann.

Grosselfingen - Das Gutachten über einen des versuchten Totschlags angeklagten Grosselfinger stand am gestrigen Verhandlungstag vor dem Tübinger Landgericht im Mittelpunkt. Der Sachverständige bezeichnete ihn als sensibel und harmoniebedürftig.

"Ein feinfühliger Mann, dem seine Kinder wichtig waren und der über Probleme selten sprach, sondern sie in sich reinfraß": So charakterisierte der sachverständige Psychologe den 37-Jährigen, der seiner Exfrau im Juli 2013 ein Messer in den Hals gestoßen und sie lebensgefährlich verletzt hatte.

Der Sachverständige bezeichnete den 37-Jährigen als ruhigen Menschen, einen Praktiker, der bei Konflikten eher zurückstecke und sehr harmoniebedürftig sei. Wer zuvor die Zeugen der Tat gehört hatte, die aus ihren Häuser heraus beobachtet hatten, wie der Angeklagte seine Exfrau nach dem Messerstich noch zu Boden gestoßen und getreten hatte, fragte sich nach dieser Einschätzung unwillkürlich nach den Gründen für die Attacke.

Für den Sachverständigen lagen diese in der Beziehung des Angeklagten und seiner Exfrau. Diese habe ihn öfters verlassen und sei wieder zurückgekehrt. "Durch das Hin und her hat sich der Angeklagte immer wieder Hoffnungen gemacht, war nach eigenen Worten depressiv." Auch nach der Scheidung sei das nicht anders gewesen – und besonders schlimm in der Woche vor der Tat. Das Opfer hatte nach einem gemeinsamen Familienausflug den Anlauf ihres Exmannes, die Beziehung wieder aufzunehmen, abgeblockt und den Kontakt abgebrochen.

"Er wollte sie unbedingt sehen und sprechen, deshalb fuhr er am Tattag zu ihr nach Münsingen." Laut Angeklagtem sei die Situation zunächst locker gewesen und nicht dramatisch. Das letzte woran er sich dann erinnere, seien der Schrei seiner Frau gewesen und wie er 200 Meter entfernt vom Tatort geschockt an einem Gartenzaun lehnte. Töten wollen habe er sie auf keinen Fall, beteuerte er. Ein Messer habe er immer in der Tasche. Sein Anwalt beschrieb das Geschehen als Explosivreaktion im Affekt.

Der Vertreter der Nebenklage wollte wissen, wie das Motiv des Angeklagten, Ehe und Familie zu retten, dazu passe, dass er seiner Exfrau mit Beleidigungen und Drohungen per SMS nachgestellt hatte – so extrem, dass er dafür in der Vergangenheit zweimal verurteilt wurde. "Ich sehe da vor allem zwei Gefühle: Eifersucht und narzisstische Kränkung. Er war schlichtweg beleidigt, und auch hilflos", erklärte der Sachverständige. Die SMS habe der Angeklagte zudem nur unter Alkohol gesendet, den er zeitweise stark missbraucht hatte.

Inwieweit das Gericht diese Erläuterungen strafmildernd berücksichtigt, stellt sich am Mittwoch, 16. April, heraus. Dann wird das Urteil gesprochen.