Auf Bahnen gehen Graffiti zurück - in der Stadt fehlen jedoch legale Flächen für Sprayer Foto: dpa

Ob man Graffiti für Kunst hält oder nicht: Die Malereien aus der Dose erfüllen den Straftatbestand der Sachbeschädigung. Zuletzt hat es in Bad Cannstatt 44 Sprühereien gegeben, bei denen es nicht um Kunst geht. Diese Serie ist noch ungeklärt.

Stuttgart - Die Schmierereien sind beseitigt, doch von den Tätern fehlt weiter jede Spur. Noch ermittelt die Polizei, wer für die Schmierereien an der Rathauswand und 44 weitere illegale Graffiti an Geschäften und Wohnhäusern in Alt-Cannstatt verantwortlich ist. Was für die offenbar linksextrem motivierte Gruppe eine Botschaft zu den Krawallen in Hamburg im Januar sein sollte, ist für die Ermittler ein Straftatbestand. „Solidarität mit dem Widerstand in Hamburg“ , dazu Hammer und Sichel und das Kürzel A.C.A.B., das für die Beschimpfung „All Cops Are Bastards“ (Alle Polizisten sind Bastarde) steht – der politische Hintergrund der Sprayer ist unverkennbar. Der Schaden in Bad Cannstatt wird auf mehrere Tausend Euro geschätzt.

Nicht viel geringer ist der Schaden im Stuttgarter Osten, wo zahlreiche Gebäude, Verkehrsschilder und Stromkästen mit Buchstabenkürzeln besprüht wurden. „Da waren verschiedene Gruppen am Werk“, sagt Polizeisprecherin Daniela Waldenmaier. Das ist ziemlich sicher: Denn für die Taten im Osten wird inzwischen ein 19-Jähriger als Beschuldigter geführt. Der junge Mann, in der Neckarstraße auf frischer Tat ertappt, ist polizeibekannt – bisher aber nicht wegen Farbschmierereien. Er schweigt zu den Vorwürfen – was ihm aber wenig nützt. „Wir können ihm etwa 50 Fälle seit August 2013 nachweisen“, sagt Waldenmaier. Die Taten reichen über den Stuttgarter Westen bis nach Feuerbach und Degerloch. Mit den politischen Parolen in Bad Cannstatt hat er nach bisherigen Erkenntnissen nichts zu tun.

Illegale Graffiti verursachen bundesweit jährlich zwischen 250 und 500 Millionen Euro Schaden. Da viele Beschädigungen durch Graffiti nicht zur Anzeige gebracht werden, ist die genaue Zahl nicht ermittelbar. In Stuttgart verzeichnet die Polizei zwischen 2008 und 2011 einen kontinuierlichen und deutlichen Rückgang. Nach einer zwischenzeitlichen Steigerung 2012 „sieht es 2013 wieder nach einem Rückgang der Graffiti-Delikte aus“, stellt Polizeisprecherin Waldenmaier fest. Immerhin scheint sich die Aufklärungsquote von Graffiti-Delikten nach dem jüngsten Ermittlungserfolg zu verbessern. In der Region schwankte sie nach einigen Serien in Ludwigsburg bis ins Jahr 2012 zwischen drei und 40 Prozent.

Haben die bunten Bilder aus der Dose nur ihre Schattenseiten? „Nein“, sagt Patrick Klein, Inhaber von Third Rail, einem Fachgeschäft für Sprayerutensilien am Stuttgarter Hauptbahnhof. Er spricht sich für ein differenzierteres Bild von Graffiti und bessere Kommunikation mit der Stadt aus. „Man muss zwischen Tag-Schmierereien und urbaner Kunst unterscheiden lernen.“ Wobei die sogenannten Tags – anonyme Kürzel, mit denen Sprayer ihr Revier markieren oder sich genauso oft einfach nur an einem x-beliebigen Ort verewigen – auch in Kleins Augen Schmierereien sind. Er will sie von aufwendigen Kunstwerken, für die Firmen wie Daimler, Bosch oder Allianz Künstlern Zehntausende bezahlen, unterschieden wissen. „Es sind doch nicht alle, die eine Sprühdose in die Hand nehmen, gleich.“ Da gebe es links motivierte politische Sprayer, rechtsradikale Schmierereien, unpolitische Bildchen, „den modernen Klo-Spruch“ oder den Namen des Lieblingsfußballvereins.

An der falschen Wand ist das vor dem Gesetz alles Sachbeschädigung. Das hat Klein am eigenen Leib erfahren: Nachdem er von Berlin nach Stuttgart kam, wurde er zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt – wegen Graffiti. Die Schadenssumme, die bei der Bahn entstanden ist: 33 000 Euro. Das war 2002.

Heute sprüht Klein nicht mehr illegal und setzt sich dafür ein, dass die Stadt Graffiti-Künstlern mehr legale Flächen stellt – mit mäßigem Erfolg. „Heute haben wir nur noch eine einzige Hall of Fame in Stuttgart“, sagt Klein. Hall of Fame, so nennt man in der Szene ebendiese legalen Flächen. Derzeit sind Graffiti im öffentlichen Raum nur an der König-Karls-Brücke in Bad Cannstatt erlaubt. Klein hält das für den Bedarf der Sprayer-Community für viel zu wenig. Außerdem würden legale Flächen illegale Graffiti ja auch eindämmen – wenn auch nicht ganz verhindern. Hat die Stadt also auch für legale Wandmalereien wenig Liebe übrig?

Claus-Dieter Hauck, Leiter des Tiefbauamts, sieht das anders. „Wir würden ja gerne mehr freie Flächen zur Verfügung stellen“, sagt er, „aber es kommen kaum welche infrage.“ Zwar gibt es noch einige Unterführungen, die Graffiti-Künstler in Absprache mit den Bezirksbeiräten gestalten dürfen – spontane, ungenehmigte Sprühaktionen sind aber trotzdem verboten. „Die einzigen Flächen, die für Stuttgarts Sprayer interessant sind, befinden sich zu nah an Straßen“, erklärt Hauck. Und da viele Sprayer minderjährig sind, könne er das nicht verantworten. Er meint, dass die Sprayer mit mehr Vorschlägen auf ihn zukommen müssten – dann würde er sich auch für sie einsetzen. Mit der Kommunikation läuft es hier offenbar nicht ganz rund.

Die andere Seite: Weltweit gibt es einen Markt für Graffiti. Die Kunstwerke von Banksy, einem Streetart-Künstler, dessen wahre Identität niemand kennt, werden für viel Geld versteigert. Das Hollywood-Traumpaar Angelina Jolie und Brad Pitt hat jüngst einen Banksy erstanden – für über eine Million Dollar.