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Ein Interview mit dem Männerexperten der Evangelischen Kirche, Martin Rosowski.

Stuttgart - Am 25.11. stehen die Männer wieder am Pranger. Es ist der Internationale Aktionstag gegen Gewalt an Frauen. Wir aber wollen über Gewalt sprechen, die Männer von Frauen erleiden.

Herr Rosowski, Gewalt von Frauen gegen Männer wird immer noch totgeschwiegen. Auch deshalb, weil Männer sich schämen, wenn sie Opfer geworden sind?

In der Tat, männliche Opferschaft wird nicht nur von der Gesellschaft tabuisiert, sondern auch von den Opfern selbst. Es ist offenbar ein großes Trauma, Gewalt an sich selbst erfahren zu haben. Das Gefühl der Demütigung und Ohnmacht scheint für viele Männer überwältigend zu sein. Das hat eine Menge mit den traditionellen Männerbildern und Rollenmustern zu tun und gilt übrigens sowohl für Gewalt, die Männer von Frauen als auch von Männern erleiden. Denn klar ist, dass Männern Gewalt in der Regel von Männern angetan wird, in der Kneipe, im Fußballstadion, bei der Bundeswehr und auf der Straße. Im familiären und häuslichen Raum allerdings sind Frauen und Männer etwa zu gleichen Teilen Täterinnen und Täter. Das zeigt unsere Studie "Männer - die ewigen Gewalttäter", die wir jüngst vorgelegt haben, eindeutig.

Um welche Formen von Gewalt handelt es sich?

Da muss man sauber differenzieren. Die Gewalt, die Frauen und Männer in der Familie ausüben, ist sehr unterschiedlich. Wenn es um grobe physische Gewalt geht, die auch zu körperlichen Verletzungen führt, sind Männer als Täter in der übergroßen Mehrzahl. Frauen tauchen da so gut wie gar nicht auf. Aber bei der leichten physischen Gewalt, dazu gehören Ohrfeigen, das Werfen mit Gegenständen, Treten und Schubsen, sind Frauen und Männer relativ nah beieinander. Und was schließlich die psychische Gewalt durch Kontrolle, Unterdrückung, Mobbing und Beschimpfung betrifft, sind Frauen eindeutig in der Mehrheit.

Wie reagieren Männer, wenn Frauen gewalttätig werden?

Neulich habe ich von einem Fall gehört, da ist der Mann nachts stundenlang mit der Straßenbahn durch Berlin geirrt, nur um den heimischen Horrortrip hinter sich zu lassen. Grundsätzlich gilt, dass Männer, anders als Frauen, relativ schnell die Flucht ergreifen. Sie entziehen sich dem Konflikt, wenn sie nicht selbst mit Gewalt reagieren.

Wohin können männliche Opfer gehen?

Es gibt allerdings nur ganz wenige Männerhäuser, wo Männer vorübergehend unterkommen können, um die Dinge zu regeln und sich beispielsweise eine neue Bleibe zu suchen.In Berlin, Brandenburg und Oldenburg gibt es jetzt immerhin erste Angebote, die Männern auch Unterschlupf bieten. Ich glaube aber nicht, dass wir nun flächendeckend Männerhäuser brauchen. Wir benötigen für Männer langfristige und beziehungsorientierte Beratung und Therapie, um den psychischen Druck verarbeiten zu können. Denn Gewalt im häuslichen Raum ist ein Beziehungsgeschehen und hat einen dynamischen Charakter.

Welche Rolle spielen die Kinder?

Sie können natürlich in einem Konflikt instrumentalisiert werden durch die Frau, die dann mit Hilfe der Kinder Druck ausübt. Ich denke allerdings, dass durch die Reform des Sorgerechts Missbräuchen immer mehr entgegengewirkt wird.

In der konkreten Notsituation sind Männer aber erst mal dankbar, wenn sie bei einem Kumpel anklopfen können und der ein Sofa übrig hat, oder?

So ist es. Aber trotzdem gehen die meisten Männer erst mal ins Hotel, denn dem Kumpel müssen sie ja auch erzählen, warum sie da stehen. Wenn ein Mann berichtet, dass seine Frau ihn malträtiert und nicht in Ruhe gelassen hat, muss er seine Scham überwinden. Da sind wir wieder beim Rollenbild, dass der Mann stark sein muss.

So gesehen bräuchten wir eigentlich einen Welttag gegen Gewalt an Männern.

So weit würde ich nicht gehen. Man muss schon darauf achten, dass die Maßstäbe nicht verrutschen. Wenn schon, dann sollte man einen gemeinsamen Tag gegen Gewalt in Beziehungen ins Leben rufen. Der soziale Nahraum ist in einer sich ausdifferenzierenden Welt ein so wichtiges Refugium, der muss einfach für alle Menschen ein Schutzraum bleiben. Dafür sollten Frauen und Männer gemeinsam kämpfen.

Mehr zur Studie "Männer - die ewigen Gewalttäter?" gibt es hier.