Bei Großkontrollen werden Fahrscheinprüfer von der Polizei unterstützt – im Alltag allerdings müssen sie immer öfter mit Übergriffen durch Schwarzfahrer rechnen. Foto: Kraufmann

Ein Schwarzfahrer verletzt drei Fahrscheinkontrolleurinnen – der Ausbruch von Gewalt im Stuttgarter Nahverkehr ist längst kein Einzelfall mehr. In letzter Zeit häufen sich die Übergriffe. Nicht nur die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) sind alarmiert.

Stuttgart - Der 26-Jährige nimmt keine Rücksicht. Als er an der Haltestelle Metzstraße im Stuttgarter Osten aus der Stadtbahn flüchtet, tritt er einer Frau seitlich gegen den Arm und die Rippen, versetzt einer anderen einen Faustschlag auf den Kopf, verletzt eine dritte, die ihn festzuhalten versucht, an den Fingern. Die drei 45, 60 und 62 Jahre alte Frauen sind Fahrausweisprüferinnen, die ihn beim Schwarzfahren ertappt haben. Der 26-Jährige zeigt sich wenig einsichtig.

Der jüngste Zwischenfall am Sonntag ist trauriger Höhepunkt einer Reihe von Übergriffen gegen Kontrolleure im öffentlichen Nahverkehr. Aber offensichtlich spiegelt er einen Trend wider, der von den Verantwortlichen der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) mit Besorgnis registriert wird: „Wir müssen feststellen, dass solche Zwischenfälle an Häufigkeit und Intensität zugenommen haben“, sagt SSB-Sprecherin Birte Schaper. Und oft genug eskaliere die Situation völlig unvermittelt. „Es gibt oft keine Eskalationsstufe mehr“, sagt Sprecherin Schaper. Die Aggressionen kommen sozusagen aus dem Nichts.

Der Täter war bereits polizeibekannt

Der 26-Jährige jedenfalls reagiert an jenem Sonntag um 7.45 Uhr in der Stadtbahn U 14 nicht wie einer, der aus Versehen sein Ticket vergessen hätte. Der Mann aus Münster versucht es mit zwei ungültigen Fahrscheinen, gibt dann einen falschen Namen, ein falsches Geburtsdatum und eine falsche Adresse an. Offenbar ist er darin geübt: „Der Mann ist wegen sogenannter Leistungserschleichung bereits polizeibekannt“, sagt Polizeisprecher Tobias Tomaszewski.

Immerhin konnte der Fall von den SSB-Mitarbeitern selbst gelöst werden. Zwar entkam der rabiate Schwarzfahrer zu Fuß in den Unteren Schlossgarten, wurde wenig später aber in der Nähe der Mineralbäder von den Opfern entdeckt, als er Richtung Wilhelma lief. Der Rowdy ahnte nicht, dass im Funk der SSB längst nach einem Mann mit auffälliger grüner Hose gesucht wurde. Als er von der Wilhelma aus in einer Stadtbahn weiter Richtung Münster fuhr, wurde er von dessen Fahrer daher prompt erkannt. Der Stadtbahnfahrer stoppte an der Haltestelle Mühlsteg, und die Polizei nahm den verdutzten 26-Jährigen in Empfang.

Auch in den S-Bahnen nimmt die Gewalt zu

Freilich gibt es nicht nur in den gelben Bahnen der SSB ein Problem mit zunehmenden Aggressionen – auch im Bereich der S-Bahn gibt es Alarmsignale. „Uns fällt auf, dass sich solche Fälle besonders in den letzten drei Wochen gehäuft haben“, sagt Daniel Kroh, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Stuttgart.

Am 11. Januar entdeckten Kontrolleure der Bahn AG einen 20-jährigen Schwarzfahrer in einer S-Bahn der Linie S 5 zwischen Bietigheim-Bissingen und Hauptbahnhof. Am Ende waren sie froh, dass Polizeibeamte den jungen Mann übernahmen. Er hatte ein verbotenes Messer dabei. Zwei Tage davor ging ein 28-Jähriger in einer S-Bahn S 1 zwischen Bad Cannstatt und Hauptbahnhof auf eine Kontrolleurin los. Bei ihm wurde keine Fahrkarte, dafür ein gestohlener Führerschein gefunden. Am 26. Dezember traf es einen 45-jährigen Kontrolleur in einer S-Bahn S 2, als er im Bereich Hauptbahnhof von zwei Schwarzfahrern angegriffen wurde: Eine 14-Jährige biss ihm in die Hand, ihr 25-jähriger Begleiter schlug ihm mit einem tragbaren Lautsprecher ins Gesicht.

Dass Gewalt gegen Fahrscheinkontrolleure in Stuttgart zunimmt, ist wenig verwunderlich. Denn auch sonst gibt es einen steigenden Trend von Aggressionen im öffentlichen Nahverkehr. Nach Polizeizahlen, die unserer Zeitung vorliegen, ist die Zahl der Körperverletzungsdelikte im Bereich Stuttgart im ersten Halbjahr 2016 um vier Prozent auf 233 Fälle gestiegen. Und das, obwohl die Zahl im gesamten Gebiet des Verkehrsverbunds mit insgesamt 328 Fällen rückläufig ist. Stuttgart als Tatort – der Anteil macht nunmehr 71 Prozent aus. Im Halbjahr davor waren es 65 Prozent.

Die SSB versuchen ihre Kontrolleure bei der Aus- und Fortbildung auf die Lage einzustellen. Außerdem gibt es einen Dienstplan, der eine flexible Größe der Gruppen ermöglicht. Freilich: Rücksichtslose Rowdys lassen sich auch von einer Übermacht nicht beeindrucken: Im jüngsten Fall im Stuttgarter Osten waren die Prüferinnen sogar zu fünft unterwegs.