"Bleib fair" - eine Aktion des Württembergischen Fußballverbands (WFV) gegen Gewalt. Soziologe Pilz fordert zudem intelligentere Strafen. Foto: Baumann

Der Soziologe Gunter A. Pilz nennt Lösungsansätze gegen die zunehmende Gewalt gegen Schiedsrichter im Amateurfußball. „Sozialarbeiter könnten den Vereinen helfen. Außerdem brauchen wir intelligentere Strafen als die reine Vergeltungsstrafe“, sagt er.

Der Soziologe und DFB-Berater für Gewaltprävention, Gunter A. Pilz, nennt Lösungsansätze gegen die zunehmende Gewalt gegen Schiedsrichter im Amateurfußball. „Sozialarbeiter könnten den Vereinen helfen. Außerdem brauchen wir intelligentere Strafen als die reine Vergeltungsstrafe“, sagt er.
 
Stuttgart - Herr Pilz, worin liegen die Gründe für die zunehmende Gewalt auf den Fußballplätzen?
Es gibt viele Gründe. Manches ist der Dynamik des Spiels geschuldet. Vor allem aber ist der Druck der Gesellschaft über die Jahre enorm geworden. Man muss sich immer und überall kontrollieren. Dabei gibt es das Bedürfnis, sich auch mal auszuleben. Das passiert bei Menschen aus allen Schichten auf dem Sportplatz.
Welchen Beitrag können die Ligen leisten, die medial im Fokus stehen?
Die Bundesliga steht im Schaufenster. Jeder Trainer hat eine Vorbildfunktion. Aber die Tuchels, Streichs und Klopps sind Negativvorbilder par excellence. Durch ihr wildes Gestikulieren am Spielfeldrand signalisieren sie: Die Schiedsrichter sind Freiwild. Das wirkt sich auf den Amateurfußball entsprechend aus.
Welche Rolle spielen soziale, ethische, religiöse Aspekte?
Sie werden von zu Hause mit auf den Platz genommen. Aggressionsauslösende Momente sind zwar in der Regel spielbezogen, zum Beispiel ein Foul. Die scheinbare soziale Benachteiligung aus dem Alltag befeuert aber das Ganze. Nicht die Elite, auch weniger die Mittelschicht kommt nach Deutschland. Das Bildungsniveau der Fußballer mit Migrationshintergrund ist demnach deutlich niedriger. Viele wachsen in einem Milieu auf, in dem es mehr Menschen gibt, die schneller zu höherer Gewaltbereitschaft tendieren.
Die Frustrationstoleranz ist niedriger?
Ja, viele realisieren, dass sie aufgrund ihrer Herkunft nicht die gleichen Chancen haben, es zu etwas zu bringen. Aber eines ist mir ganz wichtig.
Bitte.
Ich möchte hier nicht die bösen Migranten in eine Ecke stellen. Das Ganze ist keine Einbahnstraße. Deutsche Spieler verstehen es trefflich, verbal zu provozieren. Oder denken Sie an die berühmte Kopfnuss von Zinedine Zidane im WM-Finale 2006. Sein italienischer Gegenspieler Marco Matterazzi hatte ihn permanent provoziert – am Ende mit den Worten: Deine Schwester ist eine Hure. Die Familienehre im muslimischen Glauben verlangt es, sich zu wehren.
Welche Lehren kann man daraus ziehen?
Wir müssen die Trainer und Betreuer impfen, ganz genau hinzuschauen, wenn sich im Spiel Konflikte anbahnen. Sie sollten sofort reagieren, wenn jemand diskriminiert und beleidigt wird. Sozialarbeiter könnten den Vereinen helfen.
In welcher Weise?
Sie könnten Vereine unterstützen, sich Gedanken zu machen über andere Kulturkreise. Sie könnten helfen zu vermitteln, was Werte ausmachen.
Die Trainer müssen das aber auch annehmen.
Mir ist natürlich auch klar: Die Clubs können in der heutigen Zeit nicht wählerisch sein. Es ist eine Utopie, nur qualifizierte Trainer mit hoher sozialer Kompetenz um 17 Uhr auf dem Platz zu haben. Wenn das der Anspruch wäre, hätten wir nämlich gar keine Trainer mehr und damit auch keine Mannschaften.
Viele Vereine fordern drastischere Strafen für die Täter.
Welche Funktion hat eine Strafe? Der, der Unrecht getan hat, soll über sein Verhalten nachdenken und sich in Zukunft anders verhalten. Die reine Vergeltungsstrafe bewirkt das Gegenteil. Der bestrafte Spieler fühlt sich ungerecht behandelt. Und nach Ablauf der Strafe sagt er sich: Denen zeig’ ich’s jetzt auf dem Platz erst recht. Wir brauchen intelligentere Strafen.
Zum Beispiel?
In Niedersachsen bekommt ein Übeltäter die Hälfte seiner Strafe erlassen, wenn er einen Schiedsrichterkurs besucht und drei Spiele pfeift. Ich kenne den Fall eines Spielers, der einen Schiedsrichter krankenhausreif geschlagen hatte. Er machte einen Lehrgang mit und ist seitdem der erste Spieler, der einschreitet, wenn auf dem Platz etwas zu eskalieren droht.
Ist das nicht ein Einzelfall?
Das glaube ich nicht. 80 Prozent der Spieler kennen die Regeln gar nicht. Hinzu kommt, dass man sich viel besser in die Rolle des Schiedsrichters hineinversetzen kann. Pfeift man selbst eine Partie, merkt ein Spieler erst, wie beschissen es in der Kreisliga ist, ohne Assistenz an der Außenlinie richtige Entscheidungen zu treffen. Dann realisiert der Spieler: Hoppla, der Unparteiische hat damals nicht gepfiffen, weil ich Ausländer bin, sondern weil er es nicht gesehen hat.
Sollten Trainer ihre Spieler auch regelmäßig im Training pfeifen lassen?
Das wäre sehr, sehr hilfreich. Auch einen Modellversuch in Schleswig-Holstein halte ich für sehr sinnvoll: Dort werden die Spieler in die Pflicht genommen, indem sie in der Kreisliga selbst signalisieren müssen, wer den Ball ins Aus gespielt hat. Mit sehr gutem Erfolg übrigens. Mehr Selbstverantwortung ist gut. Wer selbst entscheidet, ist weniger bereit zu mogeln.
Die Hardliner fordern die Rückkehr zu reinen Ausländerligen.
50 bis 80 Prozent der Spieler mit Migrationshintergrund haben doch einen deutschen Pass. Diese Forderung ist dummes Zeug und doch keine perspektivische Lösung.
Warum?
Zum einen: Welcher Club könnte dann noch eine Mannschaft stellen? Zum anderen ist doch auch im Sport die Mischung so wichtig. Das ist wie in der Schule. Schwache unter sich ziehen sich gegenseitig runter. Die Besseren sollen die weniger Guten mitziehen. -