Der erste Fernsehturm der Welt ist geschlossen. Foto: Max Kovalenko

Armes Stuttgart: Im Tal ein flügelloser Bahnhof und ein riesiges Theater um die unfertige Bühne, in der Höhe der geschlossene Fernsehturm. Wie geht es mit dem Wahrzeichen auf der Waldau weiter? Das Ingenieurbüro Leonhardt sagt: Kein Platz für ein zweites Treppenhaus, eine Außentreppe ist unmöglich.

Stuttgart – Armes Stuttgart. Im Tal ein flügelloser Bahnhof und ein riesiges Theater um die unfertige Bühne. In der Höhe der geschlossene Fernsehturm. Viele fragen sich jetzt: Wie geht es mit dem Wahrzeichen auf der Waldau weiter? Das Ingenieurbüro Leonhardt sagt: Kein Platz für ein zweites Treppenhaus, eine Außentreppe ist unmöglich.

Der Turm wurde 2011 saniert, das Baurechtsamt gab das Okay, warum ist 2013 plötzlich alles anders?
Die Entscheidung sei unabweislich gewesen, lässt Oberbürgermeister Fritz Kuhn mitteilen. Weil er sich sonst als Amtsträger im Schadensfall dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung aussetzen würde. „Deshalb muss ich bei erkannter Gefahr für Leib und Leben handeln“, sagt Kuhn. Weiter sagt er: „Wenn ich aber als Oberbürgermeister erkenne, dass der Fernsehturm im Brandfall zu einer Feuerfalle für die Besucher werden kann, muss ich aktiv werden, auch wenn es um das Wahrzeichen unserer Landeshauptstadt geht. Der Schutz von Leib und Leben hat immer Vorrang.“ Bei der Turmsanierung im Jahr 2011 handelte es sich nach Kenntnis der Stadtverwaltung lediglich um eine vom SWR selbst initiierte Ertüchtigung der Sprinkleranlage in der Kanzel des Turms.

Können am Fernsehturm zwei unabhängige und gegen Rauch geschützte Fluchtwege eingerichtet werden?
Für ein zweites Treppenhaus mit einer Treppenbreite von jeweils mindestens einem Meter ist innerhalb der schlanken Turmnadel kein Platz. Dieter Sandner, der Leiter Sonderprojekte im Ingenieurbüro Leonhardt, Andrä und Partner, weist darauf hin, dass sich der Turm nach oben hin verschlankt und unmittelbar unter der Kanzel die engste Stelle aufweist. Er spricht von einem „Flaschenhals“. Der Innendurchmesser beträgt dort, wo heute zwei Aufzugsschächte und eine schmale Treppe untergebracht sind, nur 5,04 Meter. Auch eine Wendeltreppe, die an der Turmaußenseite verlaufen könnte, hält Sandner für „schlicht und einfach unmöglich“. Neben ästhetischen Gründen führt der Bauingenieur vor allem den Windwiderstand einer solchen Außentreppe an, der die Standfestigkeit des Turms schwächen würde. Damit droht dem Fernsehturm die dauerhafte Schließung.

Drohen weiteren Türmen in der Stadt die Schließung?
Auch Stiftskirchen-Pfarrer Matthias Vosseler beschäftigt das Thema. Ob der Turm der Stiftskirche allen Anforderungen des Brandschutzes genügt, will er demnächst mit seinem Kirchengemeinderat erörtern. „Besucher können sowieso nur in geführten Gruppen auf den Turm“, sagt er und ergänzt: „Zudem spreche ich vor jeder Führung ein Gebet.“ Gelassen reagiert die Deutsche Bahn bezüglich des Bahnhofturms. „Dort entspricht alles des Brandschutzrichtlinien. Alles ist auf dem neuesten Stand der Technik. Die Brandmelder sind sogar direkt mit der Feuerwehr verbunden, es gibt ausreichend Fluchtwege“, sagt ein Bahn-Sprecher.

Wie reagiert der Südwestrundfunk?
Zunächst mit einem Hinweisschild am Fernsehturm. Überschrift: „Brandaktuell“. Dazu der Hinweis: „Aufgrund einer Verfügung durch den OB der Stadt Stuttgart, Fritz Kuhn, bleibt der Fernsehturm bis auf Weiteres geschlossen. Wir werden alles versuchen, um den Turm für die Öffentlichkeit zu erhalten.“ Nachdem der SWR eine schriftliche Stellungnahme der Stadt erhalten habe, wird der SWR-Verwaltungsrat im April über weitere Schritte beraten.

Was wird aus den Mitarbeitern?
SWR-Sprecher Wolfgang Utz spricht von einer Stimmung beim Sender, die von „blankem Entsetzen, Trauer und Wut“ geprägt sei. Auch Tränen seien wegen der Schließung geflossen. Allein beim SWR sind es 13 Mitarbeiter, die nach der Entscheidung der Stadt um ihren Arbeitsplatz bangen. Davon sechs Aufzugführer. „Alle sechs wurden für die kommenden zwei Wochen freigestellt“, sagt Utz. Wie es danach weitergeht, konnte der SWR-Sprecher nicht sagen. Zudem soll angeblich allen Mitarbeitern der betreffenden Gastronomie am Donnerstag gekündigt worden sein.

Haben andere Städte auch ein Fernsehturmproblem?
In Düsseldorf stößt die Schließung des Fernsehturms auf Verwunderung. Denn der Rheinturm ist mit dem Stuttgarter Turm vergleichbar. In der Kuppel gibt es ebenfalls ein Restaurant. Der Turm hat allerdings ein umbautes Treppenhaus sowie einen separaten Feuerwehraufzug. „Bei uns ist beim Thema Brandschutz alles in Ordnung“, sagt ein Mitarbeiter der Firma IDR, die für die Immobilie zuständig ist. Auch im Berliner Turm am Alexanderplatz gibt es ein gastronomisches Angebot. Der Brandschutz wird dort offenbar eingehalten. Vor 13 Jahren wurde der Turm für etwa 50 Millionen Euro saniert. Allerdings: In Nürnberg, Köln oder Hamburg sind die Fernsehtürme nicht für Besucher zugänglich. Apropos Hamburg: Armin Dellnitz, Geschäftsführer der Stuttgart Marketing GmbH, fällt dazu eine nette Geschichte ein: „Vor ein paar Wochen war ich in Hamburg und habe dort zu einem Kollegen gesagt, es sei sehr schade, dass ihr in Hamburg euren Fernsehturm nicht mehr für Besucher nutzen könnt. Jetzt hat es uns in Stuttgart selbst erwischt.“

Wie kommentieren Lokalpolitiker die Entscheidung von OB Fritz Kuhn?
Die Fraktionsgemeinschaft SÖS und Linke unterstützt die Entscheidung der Verwaltung und begrüßt, dass Oberbürgermeister Fritz Kuhn dem Schutz von Menschenleben im Brandfall höchste Priorität gebe. Auch Roswitha Blind von der SPD glaubt, „dass der OB in diesem Fall keine andere Wahl hatte“. Allerdings pocht sie darauf, nun alles dafür zu tun, „damit das Wahrzeichen Stuttgarts so schnell wie möglich wieder öffentlich zugänglich ist“.

Welche originellen Ideen gibt es nach der Schließung?
Im Netz werden bereits Gedenk-Shirts angeboten mit der Aufschrift „Ich war oben“. Außerdem gibt es einen Button, auf dem man den Fernsehturm sieht – „oben bleiben“, steht drauf. Vorgeschlagen wird, ein Riesenrad neben dem Turm zu bauen, mit dem könnte man zur Plattform gelangen. Einer denkt an eine Riesenrutsche am Turm. Immer wieder werden Fallschirme als Lösung genannt. Kürzlich habe die freiwillige Feuerwehr auf der Theaterplattform des Turms Jubiläum gefeiert – Laudatoren waren Branddirektor Frank Knödler und Ordnungsbürgermeister Martin Schairer. Gewitzelt wurde, dass man bei so vielen Feuerwehrleuten in besten Händen sei, sollte es brennen.

Wie geht es weiter?
Oberbürgermeister Fritz Kuhn hat die Fachämter aufgefordert, Vorschläge zu erarbeiten: „Ich will einen Wettbewerb der Kreativen anstoßen, durch welche baulichen oder organisatorischen Maßnahmen dieses Juwel der Stadt Stuttgart wieder zugänglich gemacht werden kann.“ Zudem will sich Kuhn zwei Wochen nach Ostern mit SWR-Intendant Peter Boudgoust zu einem Gedankenaustausch treffen.