In Geislingen und anderswo werden auch in den konfessionsneutralen, städtischen Kindergärten Werte vermittelt – egal ob die Kinder katholisch, evangelisch, muslimisch oder anderen Bekenntnisses sind. Symbolfoto: Anspach Foto: Schwarzwälder-Bote

Betreuung: Expertin: Pädagogische Arbeit ist für muslimische Eltern wichtiger als das konfessionelle Profil

Dass muslimische Eltern sich oft bewusst für katholische Kindergärten entscheiden, wenn sie vor Ort die Wahl zwischen diesen und kommunalen Einrichtungen haben, ist keine Geislinger Besonderheit.

Geislingen. Ein Werturteil über die Arbeit der Erzieherinnen in den unterschiedlichen Einrichtungen stellt dies indes nicht dar. Das erläutert Ursula Wollasch, Geschäftsführerin des Landesverbands Katholischer Kindertagesstätten (LVKITA): "Christen, Juden und Muslime glauben an denselben Gott. Daher liegt es nahe und ist plausibel, dass muslimische Eltern, die ihren Glauben ernst nehmen, ihr Kind eher in eine kirchliche Einrichtung schicken als in eine, die sich weltanschaulich neutral darstellt."

Anders gesagt: Eltern, denen die Vermittlung religiöser Inhalte wichtig ist, melden ihre Kinder oft bewusst in konfessionellen Kindergärten an – unabhängig davon, welcher Religion sie selbst angehören.

Die Theologin Wollasch stützt sich bei ihrer Analyse auf eine Befragung des Landesverbands, der seit 2008 läuft. 2016 wurden dabei 53 Einrichtungen in Baden-Württemberg befragt.

Eines der Ergebnisse: Eltern, deren Kinder einen katholischen Kindergarten besuchen, ist religiöse Bildung zu 63 Prozent "wichtig" oder "sehr wichtig" wenn sie katholisch sind, zu 47 Prozent bei evangelischen und zu 34 Prozent bei muslimischen Eltern.

Ein Drittel der muslimischen Eltern findet religiöse Bildung durch die katholische Kita sehr wichtig oder ziemlich wichtig, ein Drittel hält sie für weniger wichtig bis unwichtig. "Daran zeigt sich für mich, dass sich in den Kitas, wie in der Gesellschaft insgesamt, ein breites Spektrum religiöser Haltungen unter muslimischen Eltern spiegelt."

Die pädagogische Arbeit ist in der Regel relevanter als das konfessionelle Profil. Denn zum einen, so Wollasch, gebe es in Baden-Württemberg keine strikte Neutralität wie zum Beispiel in Frankreich: "Der Orientierungsplan (des Landes für alle Kitas, Ergänzung der Redaktion) verpflichtet alle Einrichtungen, das Themenfeld ›Sinn, Werte, Religion‹ abzudecken, das heißt zumindest Elemente der Religionskunde aufzugreifen."

Anders formuliert: Auch in den kommunalen Kindergarten werden soziale und religiöse Grundwerte vermittelt.

Rahmenbedingungen müssen stimmen

Zum anderen müsse man davon ausgehen, dass Wertschätzung der kirchlichen Kitas zuerst der pädagogischen Arbeit und den Rahmenbedingungen gelte und erst danach dem Profil: "Andere Kriterien sind für die Eltern deutlich wichtiger: Eindruck beim Erstkontakt, Nähe zum Wohnort beziehungsweise Arbeitsplatz, Zustand und Ausstattung, Öffnungszeiten, Ruf in der Öffentlichkeit, pädagogische Angebote."

Nur 17 Prozent der muslimischen Eltern nennen explizit das katholische Profil als Kriterium für die Wahl. Bei den katholischen Eltern sind es 38 Prozent und bei evangelischen Eltern neun Prozent.

Unter den vermittelten Inhalten sind den befragten Eltern folgende Bildungsbereiche wichtig, geordnet nach absteigender Priorität: Förderung des sozialen Verhaltens, Förderung der Persönlichkeit, emotionales Wohlfühlen, Förderung der Selbstständigkeit, Beteiligung der Kinder, Weckung der kindlichen Neugierde.

"Im Kontrast dazu fällt die subjektive Wichtigkeit der religiösen Bildung deutlich ab", so Wollasch. "Zwar erachteten 20 Prozent der Eltern diese als ›sehr wichtig‹ und weitere 32 Prozent als ›ziemlich wichtig‹, jedoch gibt es ein gutes Drittel der Eltern, das die religiöse Bildung nur für ›teilweise‹ oder auch ›gar nicht wichtig‹ erachtet." Die Vermittlung von Werten sähen hingegen deutlich mehr als die Hälfte als eine sehr wichtige Aufgabe im Kindergarten.

Man dürfe das Thema Religion, religiöse Bildung und konfessionelles Profil daher weder über- noch unterschätzen, sagt die LVKITA-Geschäftsführerin. "Wir brauchen eine Religionspädagogik, die allen Religionen in der Kita einen Raum gibt und die zu Respekt, Wertschätzung, Toleranz und zum Frieden anleitet."

Vor diesem Hintergrund müsse sich dann das katholische Profil entfalten, sagt Ursula Wollasch: "Als Einladung zum Kennenlernen, zur Begegnung und zur Gemeinschaft. Ich denke, dass die Gesellschaft diese Botschaft im Moment mehr denn je braucht."

 Stand Dezember besuchten in der Kernstadt Geislingen den städtischen Kindergarten Pusteblume zwei muslimische Kinder, 15 den katholischen Kindergarten St. Michael.