Blumen für die letzte Zeitzeugin (von links): Oliver Schmid, Maria Schmid, Heinrich Kirmeier von der katholischen Kirchengemeinde und Referent Hubert Gulde. Foto: Ungureanu Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Veranstaltung der Gewerkschaften zum Antikriegstag in Geislingen steht ganz im Zeichen des Widerstands

Geislingen. 80 Jahre sind seit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vergangen. Der Antikriegstag, zu dem die Gewerkschaften am 1. September aufrufen, ist Anlass, zu gedenken, was gewesen ist, aus Fehlern zu lernen und gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten. "Es ist geschehen", sagte Salvatore Bertolino, in Geislingen, "und es kann wieder geschehen." Der Vorsitzende des Verdi-Ortsvereins, Hauptorganisator der Veranstaltung in der Schlossparkhalle, hatte die "Geislinger Weiberschlacht" in den Mittelpunkt gestellt. Eine lokale Geschichte, die belegt, dass nicht alle einverstanden waren mit der Politik des NS-Staates.

"Wir sind hier, weil wir Verantwortung übernehmen wollen", sagte Geislingens Bürgermeister Oliver Schmid. Er warb für Achtung und Mitgefühl gegenüber anderen, und für ein "gemeinsames Europa der Vielfalt". Der Zweite Weltkrieg habe nicht mit dem Überfall auf Polen begonnen, sondern "mit dem Aufpeitschen der Menschen zu Hass und Fremdenfeindlichkeit". Die Geislinger Weiberschlacht gehöre "zur Identität unserer Stadt".

Hubert Gulde, seit 45 Jahren im Geislinger Rathaus tätig, ist ein profunder Kenner der Ortsgeschichte. Mit Maria Schmid, geborene Sieber, hatte er die vielleicht letzte Zeitzeugin der Geschehnisse von 1941 mitgebracht, die den Widerstandskampf der Geislinger Frauen miterlebt hatte.

Damals, 1941, waren die Geislinger Kinder im Schwesternhaus der Vinzentinerinnen in der Brückenstraße betreut worden. "Es hieß ›Kinderschule‹, und es wurde ursprünglich kein Elternbeitrag verlangt", sagte Gulde.

Bereits 1937 haber es erste Versuche der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) gegeben, "auf den Kindergarten zuzugreifen". Zwei NSV-Erzieherinnen boten einen Spielenachmittag an – und blieben allein. Kinder kamen nicht.

Im November 1941, nach dem Tod der Schwester Oberin, sollten vier NSV-Frauen den Kindergarten übernehmen, den konfessionellen Schwestern sollte auf Anweisung des Kreisamts für Volkswohlfahrt fristlos gekündigt werden. Das geschah auch – am 3. September 1941.

Die Geislinger Frauen protestierten, wurden aber von einem Amt zum anderen geschickt: "Niemand wollte zuständig sein, keiner übernahm die Verantwortung, obwohl alle Bescheid wussten", sagte Gulde.

Fast 200 Frauen versammelten sich vor dem Geislinger Rathaus, viele von ihnen hatten die Arbeit niedergelegt, um zu protestieren. Die Gestapo kam aus Oberndorf, mit Gewalt wurde die Versammlung aufgelöst. Die Frauen wurden mit Knüppeln und Fußtritten traktiert, "Blut ist geflossen". Drei Frauen wurden in Gewahrsam genommen und tagelang in Oberndorf festgehalten. 17 kamen nach Balingen in Arrest, 160 wurden "gebührenfrei verwarnt". Frieda Straub, deren Mann an der Ostfront gefallen war und die mit ihrer kleinen Tochter alleingeblieben war, schrieb an den Innenminister: "Die Behörden haben uns in Geislingen feige angelogen." Und die Geislinger Frauen boykottierten den Kindergarten: Wo davor 141 Kinder betreut worden waren, war es nach Übernahme durch die NSV nur noch eins, später kamen höchstens acht bis zehn. Die Frauen zogen es vor, die Kinder zur Feldarbeit mitzunehmen, anstatt sie indoktrinieren zu lassen. Der Übernahme-Versuch war gescheitert. "Es war eine Erlösung, dass endlich der Feind kam", heißt es in der Chronik der Schwesternstation. Die Frauen hatten "standgehalten, auch in der schwersten Zeit". Vielleicht haben die mutigen Frauen, wie Salvatore Bertolino anregte, zum 80-jährigen Jubiläum der Weiberschlacht 2021 wirklich ein Denkmal verdient.

Mit Gospels wie "Oh Freedom" und "We Shall Overcome" schuf Sopranistin Juandalynn Abernathy, begleitet von Giuseppe Pisciotta am Klavier, die passende Atmosphäre.