In den Gefängnisfluren des Landes spielen sich zum Teil unglaubliche Szenen ab. Foto: dpa

Ein Justizvollzugsbeamter ist zuständig für 50 Gefangene: das ist kein Einzelfall. Der Eigenschutz gerät dabei zu kurz, kritisieren Gewerkschafter. Übergriffe auf Beamte häufen sich. Allein in Schwäbisch Hall wurden in den vergangenen Wochen ein halbes Dutzend Gefängniswärter zum Teil schwer verletzt.

Stuttgart - Es war der letzte Sonntag im Juni, als in der Justizvollzugsanstalt von Schwäbisch Hall die Alarmsirenen ertönten. Das Abendessen war gerade ausgegeben, als es unruhig wurde in einer Zweierzelle. Der Stockwerksbeamte öffnete die Zellentür – und wurde von einem der Insassen unvermittelt angegriffen. „Wir hatten Glück, dass der Mitarbeiter die Tür noch einmal schließen konnte“, sagt Eric Judeich, der stellvertretende Leiter der Haftanstalt. Aber damit war der Vorfall noch nicht beendet.

Weitere Kollegen des Beamten kamen nach Angaben Judeichs zum Ort des Geschehens, wieder wurde die Zellentür geöffnet und der Gefangene trat hinaus. Ruhig, die Gefahr schien vorüber. Dann schlug der deutsche Staatsbürger, der eine mehrjährige Haftstrafe wegen Körperverletzung verbüßt, erneut zu. Drei Bedienstete wurden verletzt, einer von ihnen so schwer, dass er erst vor wenigen Tagen wieder zum Dienst erscheinen konnte.

Die Klientel im Gefängnis ist schwieriger geworden

Ein Einzelfall? Nicht unbedingt. Ein Vorfall wie in Schwäbisch Hall sei zwar „nicht alltäglich“, andererseits nehme die Gewalt gegen die Bediensteten massiv zu, sagt Alexander Schmid. Schmid ist beim Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD) Landesvorsitzender. Er weiß, dass es seine Kollegen immer schwerer haben. Die Spannungen in den Haftanstalten werden größer, die Gründe sind vielfältig. Da sind Gefangene mit unbehandelten Psychosen, da sind Drogenkarrieren, die auch hinter den Gefängnismauern andauern, da ist ein Multi-Kulti-Mix mit zunehmenden Sprach- und Verständnisschwierigkeiten. „Die Klientel ist schwieriger geworden“, sagt Schmid. Alkohol oder Drogen können auch bei dem Vorfall in Schwäbisch Hall eine Rolle gespielt haben. Die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen, sagt der stellvertretende Anstaltsleiter.

Georg Konrath sieht die Entwicklung mit Sorge. Als Vorsitzender des Hauptpersonalrates beim Justizministerium vertritt er rund 16 000 Beschäftigte der Justiz. Die Vollzugsbeamten liegen ihm besonders am Herzen. Konrath war einer von ihnen – in Schwäbisch Hall.

„Ich mag mir nicht ausmalen was geschehen wäre, wenn es dem Gefangenen gelungen wäre, bei dem knapp besetzten Wochenenddienst, an die Schlüssel des Beamten zu kommen“, sagt Konrath. Und weiter: „Der Staat lässt seine Beamten auf dem Stockwerk allein“.

Wie viele Justizvollzugsbeamte an dem konkreten Wochenende in Schwäbisch Hall ihren Dienst verrichteten, will Eric Judeich nicht sagen. Sicherheitsgründe. Georg Konrath weiß hingegen, dass die Besetzung schon an normalen Arbeitstagen grenzwertig ist. „Ein Bediensteter ist für bis zu 50 Gefangene zuständig“, so der Mitarbeitervertreter. Als die Haftanstalt in Schwäbisch Hall gebaut wurde, habe man einen Schlüssel von eins zu 20 für sinnvoll erachtet.

Die Gefängniswärter tragen keine Waffen

Anders als in amerikanischen Fernsehfilmen tragen die Mitarbeiter im baden-württembergischen Justizvollzugsdienst keine Waffen. „Unsere schärfste Waffe ist die Kommunikation“, sagt Alexander Schmid. Die Gefangenen zu beobachten, ein gutes Verhältnis zu ihnen aufzubauen, Veränderungen im Verhalten frühzeitig festzustellen – all das sei Bestandteil des kleinen Einmaleins der Justizvollzugsbeamte. All das werde aber mit zunehmender Arbeitsbelastung auch immer schwerer. „Ich war auch schon einmal für 70 Gefangene alleine zuständig“, sagt der Gewerkschaftsvertreter. „Der Eigenschutz kommt deutlich zu kurz“, so der Mitarbeitervertreter.

Am Eigenschutz mangelte es auch bei zwei weiteren Vorfällen, die in Schwäbisch Hall aktenkundig wurden. In einem Fall wurde ein Bediensteter völlig unvorbereitet vom Angriff eines deutschen Gefangenen überrascht, im anderen Fall wurde ein anderer Beamter von einem türkischen Inhaftierten daran gehindert, Kollegen zu Hilfe zu eilen. Man habe inzwischen reagiert und öffne in der Freizeit nur noch die Hälfte der Zellentüren, sagt der stellvertretende Anstaltsleiter Eric Judeich.

Dem Justizministerium sind die Verhältnisse in den Gefängnissen nicht unbekannt. „Da ist nichts zu beschönigen“, sagt Ressortchef Guido Wolf. Er setzt sich bei den Haushaltsberatungen für 117 neue Stellen in diesem Bereich ein. „Das wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Georg Konrath. Ob Wolfs Kollegin aus dem Finanzressort das ebenso sieht, ist freilich noch offen. 6,5 Millionen Euro pro Jahr würde dieser Personalwunsch aus dem Ministerium kosten.