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Naturkatastrophen: Zentrum des Wirbelsturms trifft Pro Haiti -Ausbildungsstätte/ Immer wieder ein Schritt vor und drei zurück

Egal, welche Telefonnummer Franz Groll auf Haiti wählt – es ertönt die Ansage "Der Anschluss ist nicht erreichbar". Hurrikan "Matthew" hat Leitungen gekappt, Bananenfelder zerstört, Häuser zertrümmert – und hunderte Menschenleben gekostet.

Gechingen. Die Bevölkerung in dem bitterarmen Karibikstaat macht immer wieder einen Schritt vor und drei zurück. Neben der instabilen politischen Lage und wirtschaftlicher Not stürzen vor allem Naturkatastrophen die Menschen immer wieder ins Elend. Gerade mühsam Aufgebautes wird innerhalb von Minuten zerstört. Geradezu traumatische Folgen hatte das verheerende Erdbeben am 12. Januar 2010.

Nun zog Wirbelsturm "Matthew" Anfang des Monats über die Insel hinweg. Wie viele Menschen dabei ihr Leben verloren und wie groß die Zerstörungen im Land sind, lässt sich noch nicht genau beziffern. Die haitianischen Behörden waren zuletzt von rund 1000 Toten ausgegangen. Diese Naturkatastrophe trifft das arme Land sehr schwer. Auf Hilfe aus dem Gäu dürfen die Menschen im haitianischen Léogâne und Jérémie nun erneut hoffen.

Wirtschaftlich abhängig

Seit mehr als zwei Jahrzehnten engagiert sich der Verein Pro Haiti mit Sitz in Aidlingen in einem der ärmsten Länder der Welt. Eines der erfolgreichen Vorhaben war der Wiederaufbau nach dem Beben 2010. Von den heftigen Erschütterungen wurde die Stadt Léogâne, die etwa 35 Kilometer westlich von Port-au-Prince liegt, mit am stärksten getroffen. Das Gebiet war schon immer wirtschaftlich stark von der Hauptstadt abhängig, hatte nur wenige weiterführende Schulen und besaß keine beruflichen Ausbildungsstätten.

Um Jugendlichen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben, wurde auf die Initiative des Pro Haiti-Vorstandsmitglieds Franz Groll aus Gechingen, der zwei Einsätze als Entwicklungshelfer hinter sich hat, in Léogâne eine Ausbildungsstätte mit angeschlossener Produktion aufgebaut. Der Gechinger erstellte die Pläne, kalkulierte die Kosten und übernahm die Bauleitung. Der Lehrbetrieb wurde im Herbst 2012 mit 200 Azubis aufgenommen. Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, damit die Menschen im haitianischen Erdbebengebiet sich eine Zukunft aufbauen können, war Franz und Marie-Josée Grolls Hauptaufgabe.

Wie Groll und die anderen Vereinsmitglieder inzwischen in Erfahrung bringen konnten, wurde die Stadt Léogâne durch Hurrikan "Matthew" komplett überflutet. "Dort kamen auch einige Menschen ums Leben und viele sind verletzt", sagen Groll und Vorsitzender Rolf Kossbiel.

Erster Kontakt

Weitaus schlimmer ist die Lage offenbar in Jérémie. Dort hat das Ehepaar Groll von 1994 bis 1999 ein Centre Technique aufgebaut, eine Berufsschule mit angeschlossenen Werkstätten. Marie-Josée Groll hatte dort zwei Montessori-Einrichtungen gegründet, einen Kindergarten sowie eine Schule samt Vorschule. Das Zentrum des Wirbelsturms ist laut Pro Haiti genau über die Gegend von Jérémie gezogen. Erst am Samstag war für kurze Zeit der erste telefonische Kontakt dorthin zustande gekommen. "Ansonsten sind die Zufahrtswege versperrt und die Telekommunikationsanlage gestört", teilte Kossbiel mit. Die Präsidentschaftswahl, die eigentlich am 9. Oktober stattfinden sollte, sei auf unbestimmte Zeit verschoben worden, ebenso die Öffnung der Schulen, so auch bei der Ausbildungsstätte in Léogâne.

Keine Grundlage mehr

Fast alle Häuser in Jérémie sind schwer beschädigt oder wurden komplett zunichte gemacht. Auch das durch Pro Haiti erstellte Ausbildungszentrum ist durch den Wirbelsturm demoliert worden. Die Dächer der Autowerkstatt, des Büros und des Lagers wurden komplett zerstört, einschließlich des Gebälks. Auch Häuser der Mitarbeiter wurden teilweise weggefegt, und es soll nach Informationen von Pro Haiti einige Tote gegeben haben.

"Im ganzen Land wurden viele Bäume und vor allem Bananenstauden umgeknickt", sagte Franz Groll im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten. In Léogâne sei früher hauptsächlich Zuckerrohr angebaut worden, heute seien es Kochbananen, außer Mais, Hirse und Reis eines der Grundnahrungsmittel. Nach der erneuten Naturkatastrophe falle die Ernte für die nächsten vier bis fünf Monate komplett aus. Das Land könne sich wegen des starken Bevölkerungswachstums ohnehin kaum mehr ernähren: "Vor 60 Jahren lebten in Haiti drei Millionen Menschen, heute sind es zehn bis zwölf, die vier Millionen Haitianer, die im Ausland leben, nicht mitgerechnet".

Von den Behörden hat die haitianische Bevölkerung laut Groll nun nicht viel zu erwarten: "Das Land hat im Moment keinen Präsidenten und keine Regierung". Der Vorstand von Pro Haiti berät nach Angaben von Kossbiel derzeit, "wie wir von hier aus am besten schnell helfen können, um die schweren Schäden zu beheben". Glücklicherweise habe Pro Haiti engen Kontakte zu Haitianern vor Ort, und der Verein verfüge über jahrzehntelange Erfahrung, wie Projekte unter schwierigen Bedingungen in dem Land umgesetzt werden können.