Das Wohl und die Wünsche von Menschen mit Handicap stehen beim Verein "Betreuung liebevoll" im Mittelpunkt. Fotos: Verein Foto: Schwarzwälder-Bote

Von Marion Selent-Witowski

Von Marion Selent-Witowski

365 Tage im Jahr rund um die Uhr einen Menschen mit Behinderung zu versorgen, bedeutet für die Angehörigen, sich zurückzunehmen und oft bis an die Grenze der Belastbarkeit zu gehen. Unterstützung bietet diesen Familien ein neuer Verein.

Der Verein "Betreuung liebevoll" ist wie folgt erreichbar: Telefon 07056/6 14 05 07, Fax 07056/6 14 05 08, über die Homepage www.betreuung-liebevoll.de und per Mail unter waidner@betreuung-liebevoll.de.

Gechingen. "Betreuung liebevoll" hat Vorsitzende Katharina Waidner den etwas anderen Pflegedienst mit Sitz in Gechingen getauft. Innerhalb kurzer Zeit konnte ihr Verein acht Klienten gewinnen. Bis zur offiziellen Gründung war es allerdings ein weiter, zum Teil steiniger Weg. Von ihrer Idee hat sich die 23-Jährige aber nicht abbringen lassen.

Eigentlich wollte die junge Frau nach dem Schulabschluss als Mediendesignerin künstlerisch-gestalterisch tätig werden. Doch dann kam alles ganz anders. "In der Schule stand ein einwöchiges Sozialpraktikum an. Das habe ich bei der Gemeinnützigen Werkstätten und Wohnstätten GmbH (GWW) in Calw absolviert", berichtet Waidner. Bereits nach dem ersten Tag im dortigen Förder- und Betreuungsbereich habe sie ihre beruflichen Pläne über Bord geworfen. "Das mach’ ich", sagte sie ihren Eltern, absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der GWW und begann dort ihre Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin. "Vor dem Sozialpraktikum habe ich mich nie mit der Betreuung behinderter Menschen befasst. Mir war auch nicht bekannt, welche Berufsbilder es in diesem Bereich gibt", erzählt die Vereinsvorsitzende.

Auszubildende entdeckt Angebotslücke sehr früh

Schon während der Ausbildung fiel der jungen Frau auf, dass Menschen mit Handicap während der festen Betreuungszeiten in einer Einrichtung wie der GWW rundum versorgt sind, es davor und danach aber keine Angebote gibt, auf die Angehörige zurückgreifen können. Ihr Grundgedanke war, einen Pflegedienst auf die Beine zu stellen, der Familien entlastet und individuelle Angebote für die Klienten ermöglicht. "Von vielen Eltern habe ich gehört, dass sie sich mit diesem Problem alleine gelassen fühlen", berichtet die gelernte Heilerziehungspflegerin. Eine Mutter habe dies sehr drastisch zum Ausdruck gebracht: "Wenn meine behinderte Tochter zwei Wochen krank ist, ist das für mich wie zwei Wochen modernes Gefängnis", denn in dieser Zeit könne sie nicht das Haus verlassen, um etwa Einkäufe oder andere Dinge zu erledigen.

Dann spricht Waidner an, was die meisten Eltern lieber verschweigen oder sich erst dann bewusst machen, wenn sie völlig erschöpft sind: "Viele widmen sich bis fast zur Selbstaufgabe der Rund-um-die-Uhr-Betreuung ihres Kindes, haben kaum Zeit zum Luftholen und schämen sich schon oft nur für den Gedanken, zwischendurch einmal eine kurze Auszeit nehmen zu wollen." Es dauere meist lange, bis sich Betroffene Hilfe holen.

Der neue Verein sorgt jetzt dafür, dass Menschen mit Handicap am Abend versorgt sind, damit Angehörige beispielsweise einmal ausgehen können. Auch einmal in der Woche mit einem Behinderten etwas zu unternehmen, was er gerne macht, ist ebenfalls möglich, zum Beispiel Schwimmen oder wie neulich eine Fahrt mit der S-Bahn zum Stuttgarter Weihnachtsmarkt. Geplant wird die Betreuung nach den Bedürfnissen der jeweiligen Familie.

Projekt droht kurz vor dem Ziel zu scheitern

Kurz vor der Ziellinie drohte das ganze Projekt zu scheitern, weil die 23-Jährige auf Behördenebene auf taube Ohren stieß. Die Krankenkassen für ihr Konzept zu begeistern, gelang dagegen auf Anhieb. Innerhalb eines Jahres hat sich Waidner zur Pflegedienstleiterin ausbilden lassen, damit die Dienste mit den Kassen abgerechnet werden können.

Den familienentlastenden Dienst bei "Betreuung liebevoll" übernehmen Fachkräfte. Die Vereinsform ermöglicht es Ehrenamtlichen, sich in die Vereinsarbeit einzubringen, etwa bei Ausflügen und Bastelaktionen.

Die 23-jährige Vereinsgründerin ist bei der Umsetzung ihres Projekts regelrecht über sich hinausgewachsen und hat ihr berufliches Glück gefunden. "Auch ich bin manchmal nach einem langen Arbeitstag sehr geschafft", gibt sie unumwunden zu. Die Offenherzigkeit der Behinderten und ihre große Dankbarkeit, die sie oft nur mit einem Lächeln zum Ausdruck bringen können, lassen sie all die Anstrengung aber schnell vergessen. Ebenso die Reaktionen in den betreffenden Familien, die das neue Angebot sehr zu schätzen wissen, weil ihnen individuell geholfen wird.

"Für mich sind Menschen mit Behinderung etwas ganz Besonderes", sagt Waidner nach sechs Jahren Tätigkeit im pflegerischen Bereich. Ihre sehr spontane Berufswahl hat die junge Frau nicht eine Sekunde lang bereut: "Für mich gibt es nichts anderes".