Gunter Barner Foto: Schwarzwälder-Bote

Bundesliga: Handspiel im Strafraum, kein Elfer. Falsche Gelb-Rot-Entscheidung?

Weil es zur Aussicht auf eine Woche voller beschwerlicher Arbeit passt, erörtern die Freunde des Fußballspiels montags tief schürfende Fragen der Gerechtigkeit. Oft beginnen sie mit der Widersprüchlichkeit eines Lattenknallers und nicht selten enden sie mit der Ausschließlich-keit am Elfmeterpunkt. Schon beim Schuss gegen das Quergebälk bewegen sich Für und Wider der Gedanken zwischen Pech und Unvermögen. An der Dialektik eines Strafstoßes aber sind schon Freundschaften zerbrochen, Ehen gescheitert und berufliche Laufbahnen zerschellt. Und jetzt auch noch dieser Videobeweis.

In Augsburg wird deshalb heute diskutiert, warum es nach einem Handspiel im Strafraum keinen Elfer gab – auch nicht nach Befragung des Videobeweises. Und in Stuttgart geht es um die Frage, warum er bei einer falschen Gelb-Rot-Entscheidung nicht zum Einsatz kommt.

Wer letztinstanzlich darüber richtet, was gerecht ist und was nicht, nennt sich entweder "Chef" oder neuerdings Video-Schiri in einem Fernsehzimmer in Köln. In jedem Fall verfügt er aber über die sich selbst verliehene Gabe, die Wahrheit ganz genau und auch sonst alles besser zu wissen. In den Stand sich über andere zu erheben, versetzt den Über-Unparteiischen die glückliche Fügung, sich nicht der Unmittelbarkeit des Spiels auszuliefern. Der Video-Schiri spult mit zweifelndem Blick noch mal zurück, was der Gang der Dinge im Stadion längst schon verschluckte. Dann funkt der Herr der Regeln seine Korrektur ins Ohr des vermeintlich irrenden Kollegen. Der zeichnet dann mit bedauernder Geste und für jedermann sichtbar einen Bildschirm in die Luft. Sekunden dauern eine Ewigkeit. Dann wird entschieden. So oder so. Und niemand weiß warum. So verliert das Spiel an Stimmung und Würde, der Schiri seine natürliche Autorität. Er macht Fehler, wer nicht?

Der Videobeweis nach Art der Bundesliga soll mehr Gerechtigkeit schaffen in einem Geschäft, in dem Millionen längst mehr zählen als mutige Dribblings und kühne Pässe. Tatsächlich spiegelt das vom Spiel entrückte Konstrukt den deutschen Hang zu Bürokratie und Vollkasko wider – mit dem festen Willen alles so gründlich zu regeln, bis es kein Mensch mehr versteht.

Als gäbe es nicht schon Anlässe genug, sich dem Spiel zu entziehen. Korrupte Funktionäre, mangelnde Rücksicht auf Rituale, Traditionen und Emotionen – und die kurzatmigen Versuche, aus Vereinen kaltherzige Profitcenter zu formen. In jedem Fall setzt das technische Hilfsmittel namens Videobeweis alles außer Kraft, was der Fußball als Metapher fürs Leben lehrt: Denn gefühlt ist er immer so gerecht wie eine Steuererklärung. Und die Wahrheit ist, wie der weise Otto Rehhagel schon sagte, noch immer auf dem Platz. Wer es gut meint mit dem Fußball, wird es so weit wie möglich dabei belassen.

Aber die Chancen auf eine Umkehr halten sich in Grenzen. Die Bosse beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) tragen die Nase hoch. In anderen Sportarten bekommen die Teams das Recht, den Videobeweis mehrmals pro Partie zu beantragen. Der Referee hat am Spielfeldrand die Gelegenheit, die Szene selbst und stressfrei zu prüfen. Das ist für alle nachvollziehbar. Der Videoschiri im Fußball dagegen bleibt bis auf weiteres eine gute Idee, die schlecht funktioniert.