VfB-Profi Konstantin Rausch (links) spricht im Interview über Robert Enke, der sich am 10. November 2009 das Leben nahm. Zwischen den beiden hatte sich bei Hannover 96 in den Jahren vor dem Suizid eine Freundschaft entwickelt. Foto: dpa/SIR-Montage

Er war nicht nur Teamkollege von Robert Enke, sondern auch ein Freund - VfB-Profi Konstantin Rausch spricht im Interview unter anderem über den Suizid des Hannover-Keepers, die schreckliche Zeit danach und gibt zu verstehen, dass sich im Profi-Fußball seitdem nicht vieles zum Besseren gewandelt hat.

Stuttgart - Am 10. November 2009 geschah das Unfassbare: Robert Enke, deutscher Nationaltorwart und Hannover-96-Keeper, warf sich im niedersächsischen Eilvese vor einen Zug und setzte damit seinem Leben ein Ende. Er hatte den Kampf gegen seine Depressionen verloren. Zurück blieben die trauernde Familie - insbesondere seine Witwe Teresa und die gemeinsame Tochter Leila, die sie 2009 adoptiert hatten. Die Stadt Hannover, sein Verein und ganz Deutschland fielen in Schockstarre. Keiner konnte bis zu diesem Tag ahnen, wie schlimm es um den Torhüter wirklich stand, nicht mal seiner Frau oder seinem Arzt vertraute Enke an, wie tief er in die Depression gerutscht war – und schon gar nicht seinen Teamkollegen bei Hannover 96 oder in der Nationalmannschaft.

Was viele nicht wissen: VfB-Profi Konstantin Rausch spielte bei Hannover 96 nicht nur mit Robert Enke zusammen, in den knapp zwei gemeinsamen Jahren bei den Niedersachsen entwickelte sich auch eine Freundschaft zwischen Rausch und dem 13 Jahre älteren Torhüter.

Zum fünften Todestag des Nationalkeepers haben wir mit Konstantin Rausch unter anderem über Robert Enke, die schreckliche Zeit vor fünf Jahren und die Auswirkungen von Enkes Krankheit und Tod auf den Profi-Fußball gesprochen.

Herr Rausch, wie und wo haben Sie Robert Enke kennengelernt?

Wir haben uns im Jahr 2007 bei Hannover 96 kennengelernt. Ich war damals noch bei den Amateuren, 2008 wechselte ich in den Profikader. Robert Enke habe ich damals als gestandenen Profi kennengelernt, der das Team als Kapitän führte. Er hatte immer ein offenes Ohr für junge Spieler.

Wie sah Ihre Beziehung zu Robert Enke in Ihrer Zeit bei Hannover 96 aus?

Wir entwickelten eine Freundschaft. Er war jemand, zu dem ich zu jeder Zeit aufsah. Ich habe selten einen Menschen kennengelernt, der anderen Menschen dermaßen respektvoll begegnet ist wie Robert – egal um wen es sich dabei handelte. Ich war fasziniert von seiner Menschlichkeit. Robert hatte eine Familie, war 13 Jahre älter als ich und dennoch trafen wir uns damals oft in der Clique gemeinsam mit anderen H96-Profis wie Florian Fromlowitz oder Jan Schlaudraff und hatten einfach Spaß.

Gab es im Nachhinein für Sie Anzeichen, die auf den bevorstehenden Suizid Robert Enkes hindeuteten?

Nein, zu keiner Zeit. Natürlich war Robert mal witzig und gesprächig, an anderen Tagen wieder in sich gekehrt und ruhig. Doch das geht uns anderen ja auch nicht viel anders. Wie ernst es um ihn stand, bemerkte niemand in der Mannschaft.

Wann haben Sie Robert Enke zum letzten Mal gesehen?

Am 8. November 2009, zwei Tage vor seinem Suizid. Wir spielten damals gegen Hamburg und ich weiß gar nicht mehr, wie das Spiel ausging (die Partie endete 2:2, Anmerkung der Redaktion). Was ich allerdings noch weiß, ist, dass Robert überragend gehalten hat.

Wie haben Sie damals von seinem Tod erfahren?

Ich war am Montagnachmittag gemeinsam mit ein paar Freunden bei mir zuhause, als wir im Internet die Meldung lasen. Ich konnte es zuerst nicht glauben. Doch als mich dann mein damaliger Teamkollege Hanno Balitsch zirka 15 Minuten später anrief und mir ebenfalls diese niederschmetternde Nachricht überbrachte, wusste ich, dass es traurige Gewissheit ist.

Wie haben Sie die Stunden danach erlebt?

Hanno Balitsch sagte mir am Telefon, dass sich Mannschaft, Trainer und Betreuer im Stadion treffen. Alle waren fix und fertig. Auch die Fahrt dorthin werde ich nie vergessen. Ganz Hannover trauerte, Kerzen säumten den Weg zum Stadion.

Was geschah in den Wochen nach dem Suizid?

Das war eine extrem schwierige Zeit, sowohl für mich als auch für die komplette Mannschaft. Ich verlor in Robert einen Freund, auf dessen Ratschläge ich immer vertrauen konnte. Er fehlte an allen Ecken und Enden. Ich erinnere mich noch an die Schweigeminute vor dem Schalke-Spiel am 21. November. Viele haben geweint - Schmerz und Trauer waren die vorherrschenden Gefühle.

Hannover wäre in dieser Saison beinahe abgestiegen, wie bekamen Sie und ihre Mitspieler trotzdem noch die Kurve?

Das stimmt, wir gerieten in einen Abstiegsstrudel, wir verloren ein ums andere Spiel. Doch der Knackpunkt waren die zwei letzten Spiele der Saison. Zuerst besiegten wir Gladbach 6:1 und dann feierten wir in Bochum einen 3:0-Erfolg – wir waren gerettet. Und erst dann wurde mir bewusst: Wir schleppten Roberts Tod durch die ganze Saison hindurch, er belastete uns, lähmte uns. Die beiden letzten Partien waren dann fast wie eine Therapie für das Team, eine Art Trauerbewältigung.

Rausch über Teresa Enke, die Stiftung & Respekt im Fußball-Geschäft

Beim VfB Stuttgart ist in Karim Haggui noch ein weiterer Spieler von damals im Kader. Sprechen Sie manchmal über den Vorfall?

Nein, mit Karim muss ich darüber nicht sprechen. Wir sind damals beide gemeinsam durch diese furchtbare Zeit gegangen. Ab und zu werden wir noch von Leuten darauf angesprochen, dann geben wir unsere Erfahrungen auch weiter.

Kocht das Thema jetzt wieder hoch?

Ja, unabhängig davon, dass das Thema in der Zeit um Roberts Todestag auch wieder in den Medien präsent ist, denke ich in dieser Zeit besonders an ihn. Doch das Gute am Leben ist, dass die Wunden mit der Zeit heilen. Ich kann mittlerweile an Robert denken und auch über ihn reden, ohne dass mich die gleiche Trauer oder der gleiche Schmerz wie vor Jahren ereilt.

Sind Sie in irgendeiner Weise gestärkt daraus hervorgegangen?

Ja, definitiv. Wissen Sie, das Jahr 2009 war für mich in zweierlei Hinsicht ein schlimmes Jahr. Zum einen der menschliche Verlust, zum anderen die sportlichen Sorgen um den Klassenerhalt von Hannover 96.

Haben Sie noch Kontakt zur Witwe von Robert, Teresa Enke?

Nein, wir haben keinen Kontakt mehr. Ich habe Teresa damals als starke Frau kennengelernt. Wenn man bedenkt, was sie mitmachen musste – Roberts Krankheit und den Tod ihrer gemeinsamen Tochter (die erste Tochter Lara starb 2006 im Alter von zwei Jahren an den Folgen einer Herzkrankheit, Anm. der Redaktion) – kann man vor ihr den Hut nicht tief genug ziehen. Ich weiß, dass sie sich als Vorstandvorsitzende der Robert-Enke-Stiftung für die Bekämpfung von Herzkrankheiten bei Kindern sowie Depressionskrankheiten einsetzt. Ich hoffe, dass sie mittlerweile wieder glücklich sein kann.

Bekommen Sie etwas davon mit, wie die Robert-Enke-Stiftung funktioniert, wie erfolgreich diese ist?

Ja, da die Stiftung in der Nähe meiner Heimatstadt Hannover seinen Sitz hat und ich noch gute Kontakte dorthin pflege, bekomme ich auch einiges über die Stiftung mit. Außerdem stehe ich noch in regem Kontakt zum Geschäftsführer der Stiftung, Jan Bassler. Die Robert-Enke-Stiftung leistet seit Jahren wundervolle Arbeit. Darüber freue ich mich sehr.

Was hat sich seit dem Tod von Robert Enke im Fußball verändert?

Kurz nach Roberts Suizid bemerkte ich schon eine Veränderung. Der Fußball-Zirkus war für einige Zeit menschlicher, sensibler geworden. Doch der oft angeprangerte Druck im Fußball-Geschäft hat sich schon bald wieder eingestellt. Alles in allem hat sich meiner Meinung nach nicht richtig viel verändert.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren?

Ein Spieler, der an Depressionen leidet, kann wohl noch schlechter mit dem Druck umgehen, der auf ihm lastet, als andere Profis. Und der Druck wird auch nicht weniger, wenn von außen auf einen eingedroschen wird. Ich wünsche mir generell mehr Respekt im Fußball-Geschäft.

Wie werden Sie den 10. November 2014 verbringen? Ich werde Robert in mein tägliches Gebet einschließen. Den 10. November werde ich ansonsten wie jeden anderen Tag auch verbringen. Natürlich denke ich an diesem Tag öfter an Robert als an anderen Tagen. Fünf Jahre nach seinem Tod ist es nun allerdings so, dass nicht mehr die Trauer vorherrscht, sondern Dankbarkeit, dass ich so jemanden wie Robert kennenlernen und zu meinen Freunden zählen durfte.