Der Winter hat am Freitag Freudenstadt lahmgelegt. Die Räumdienste waren ohne Chance. Foto: Schwark

Schippen im Schneesturm ist "für die Katz": Räumdienste sind ohne Chance. Menschen und Fahrzeuge haben zu kämpfen.

Freudenstadt/Baiersbronn - "Sofort" steht auf dem Display am Bahnsteig in Baiersbronn – und es soll für die Ankunft von gleich zwei Zügen gelten. Der eine, der nach Freudenstadt fährt, steht schon seit geraumer Zeit am Bahnhof – der andere, der aus Freudenstadt kommt, steht schon länger vor Baiersbronn. Eine Weichenstörung hindert ihn am Weiterkommen. "Sofort" geht gestern Vormittag also gar nichts.

"Der Wind ist das Problem", erklärt der Zugführer, "wenn es permanent weht, schafft das keine Weichenheizung." Gelassen und freundlich beantwortet er die Fragen der Fahrgäste im Minutentakt. "Entschuldigung, wann fährt der Zug los?", will ein junger Mann wissen; "Wie lange dauert es noch?", fragt ein älterer. Zwei Frauen, eindeutig aus dem badischen Landesteil, philosophieren über den Zeitpunkt des Wintereinbruchs. "Besser er kommt jetzt als an Ostern", findet die eine, die nach Karlsruhe will und sich in der stehenden S-Bahn in Gegenrichtung nur aufwärmt. "An Weihnachten wär’s halt auch schön gewesen", meint die andere. "Wenigstens sitzen wir im Warmen", sind sich beide einig.

Spätankömmlinge fragen sich, ob es sich überhaupt lohnt, eine Fahrkarte am Bahnsteig zu lösen. Im Zug ist das eh nicht möglich. "Der Automat macht Urlaub", weiß der Zugführer. Die Mitarbeiter der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) hingegen sind im Dienst. Mit dem Auto fährt einer von ihnen zur streikenden Weiche, schaufelt sie frei – und 53 Minuten nach der geplanten Abfahrt geht es endlich los.

Unterwegs nach Freudenstadt wird klar: Auch auf den Straßen geht nicht viel voran. Schon vor dem Christophstal staut es sich, hinauf zur Boschenlochkurve sind zahlreiche Lastwagen liegengeblieben, in der Kurve sowieso.

In Freudenstadt angekommen, kämpfen Ladenbesitzer und Bürger mit Schnee und Wind. Eine Freudenstädterin hat gerade einmal ums Haus gebahnt, steht wieder verblüfft am Ausgangspunkt und lacht: "Es ist für die Katz’."

Der Wintereinbruch macht den Menschen zu schaffen. Im Verlauf des Tages spitzt sich die Situation zu. Freudenstadt wirkt zum Teil wie eine Geisterstadt. Nur wenige Unentwegte wagen sich auf den Wochenmarkt, der im Schneesturm auf dem Marktplatz wie aus einer anderen Welt wirkt.

Mit Streusalz ist bei dem starken Schneefall nichts zu machen

Alle 60 Mitarbeiter des Winterdienstes der Stadt sind mit 34 Fahrzeugen seit 3.30 Uhr im Einsatz. Claus Grieshaber, Leiter des Baubetriebsamts der Stadt Freudenstadt, fährt selbst raus in die Straßen der Stadt, "um zu wissen, was läuft". Es läuft so gut wie nichts mehr, ist die baldige Erkenntnis. Er entscheidet sich am Mittag, die Nebenstraßen nicht mehr räumen zu lassen und zieht alle Einsatzfahrzeuge auf die Hauptstraßen Freudenstadts zusammen. "Es geht nicht mehr, ich weiß nicht wohin mit dem Schnee", schildert er unserer Zeitung.

Selbst die Räumfahrzeuge kommen an manchen Stellen nicht mehr durch. Mit Streusalz ist bei dem starken Schneefall ohnehin nichts zu machen. Ob Bahnhofstraße, Turnhallenstraße oder Ringstraße – an allen Steigungen bleiben Autos und vor allem Lastwagen hängen. Der Verkehr rund um das "Katzenholz" kommt in beiden Richtungen zum Erliegen. Hauptproblem sind die Schneeverwehungen durch den starken Wind. "Wir tun unser Möglichstes, doch das Wetter macht, was es will", sagt Grieshaber. Doch es ist nicht nur das Wetter, das dem Chef des Baubetriebsamts die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Es sind auch die zahllosen Anrufe von Bürgern, die sich beschweren, dass in ihrer Straße der Räumdienst noch nicht durchgefahren ist. "Die Leute sollten doch bei dieser Witterung auch etwas Verständnis haben", meint Grieshaber. Doch das meint er seit vielen Jahren. Gegen 17 Uhr schickt er einen Großteil der Winterdienstler nach Hause, denn sie müssen sich nach über zwölf Stunden Dienst mal ausruhen. In der Nachtschicht fahren nur noch drei Schneeräumer, damit in den Morgenstunden wieder alle Kräfte zur Verfügung stehen.

Bis gegen 14 Uhr sind beim Hauptbahnhof mindestens 30 Zentimeter Neuschnee gefallen. Teilweise türmen die Verwehungen die weiße Pracht jedoch wesentlich höher auf. Im Bahnverkehr von und nach Freudenstadt gibt es Verspätungen. Die beheizten Weichen sind teilweise auch in Freudenstadt und Schopfloch durch die Schneeverwehungen zugesetzt und müssen freigeschaufelt werden. Auch an Bushaltestellen müssen die Menschen Geduld mitbringen, bis ihr Bus eintrifft.

Erinnerungen an den 1. März 1988 werden wach

Verspätet treffen auch viele auswärtige Schüler und Lehrer in den Schulen ein. Aus dem Kepler-Gymnasium berichtet Schulleiterin Perdita Toll, dass sie von Nagold bis Freudenstadt drei Stunden benötigt hat. Für die Schüler der Unterstufen fällt der Nachmittagsunterricht aus.

Auf der Bahnstrecke im Murgtal spitzt sich am Nachmittag die Situation zu. Der heftige Schneefall, der den ganzen Tag über nicht die kleinste Pause einlegt, behindert den Stadtbahnverkehr der Linien S 31 und S 41 im oberen Murgtal massiv. Die Strecke zwischen Forbach und Freudenstadt kann nur noch in eine Richtung befahren werden. Grund seien mehrere wetterbedingte Weichenstörungen, teilt die AVG mit. Die Weichen ließen sich nicht mehr stellen, sodass kein Kreuzungsverkehr der Züge möglich sei. Ab 16.20 Uhr pendelt nur noch ein Zug zwischen Forbach und Freudenstadt. Erhebliche Verspätungen und Zugausfälle sind die Folge. Die Techniker der AVG sind bemüht, die Störungen zu beheben, können die Weichen wegen Blitzeises allerdings nicht anfahren. Ein Schienenersatzverkehr mit Bussen könne wegen der kaum befahrbaren Straßen nicht eingerichtet werden, heißt es. Der Bahnverkehr in Richtung Karlsruhe wird in den Abendstunden unterbrochen. Nach Stuttgart fahren nur noch die roten Regionalexpresse.

Die Nordwest-Wetterlage, die den Schneesturm verursacht, belegt einmal mehr, dass Freudenstadt zu den Spitzenreitern beim Niederschlag zählt. Auch heute und am Sonntag wird es laut Wetterprognosen zeitweise weiterschneien. Die derzeitige Situation erinnert etwas an den 1. März 1988, als in 24 Stunden ein Meter Neuschnee fiel. Für die kommende Woche sagt die Langfristprognose des Deutschen Wetterdienstes Dauerfrost voraus. Die Niederschläge sollen sich ab Montag aber eher in Grenzen halten.