Qualifizierung ist auch in Zeiten von Vollbeschäftigung eine gute Versicherung. Foto: ©  Robert Kneschke / Fotolia.com

Arbeitsmarkt: Die Risiken und Schwächen in Zeiten der Vollbeschäftigung im Kreis.

Freudenstadt - Die Konjunktur brummt, derzeit herrscht praktisch Vollbeschäftigung im Kreis Freudenstadt. Nichts zu tun für die Vermittler? Im Gegenteil. Die Agentur für Arbeit will Schwächen beseitigen. Außerdem gibt es einige Risiken.

Martina Lehmann, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit, und ihre Kollegen könnten derzeit die Füße öfter hochlegen. Mit 204 000 Jobs gibt es so viele sozialversicherungspflichtige Stellen wie noch nie in der Region Nordschwarzwald. Zwar waren zum Oktober auch 12 200 Menschen als arbeitslos gemeldet. Allerdings markiere dies einen historischen Tiefstand. Außerdem gibt es alleine im Kreis Freudenstadt 1300 freie Arbeitsplätze und fast 500 offene Lehrstellen. Allerdings passen Angebote und Nachfrage nicht immer zusammen. Dazu gibt es weitere Schwachpunkte und Risiken, die die Agentur Neudeutsch "Handlungsfelder" nennt: Lehrstellen: Der Nachwuchs fehlt in vielen Branchen. Das hängt nur bedingt mit der rückläufigen Zahl der Jugendlichen zusammen.

Denn die meisten Lehrstellen gibt es in der Gastronomie. "Leider sehen die jungen Leute ihre Zukunft in anderen Branchen", sagt Lehmann. Die Top drei der Lehrstellenangebote im Kreis Freudenstadt: Koch (109 Stellen), Hotelfachleute (96) und Restaurantfachleute (84). Die Top-drei-Wunschberufe der Bewerber sind andere: Industriemechaniker (72), Kfz-Mechatroniker (58) und Industriekaufleute (54). Fehlende Qualifizierung: 62 Prozent der Arbeitnehmer im Kreis Freudenstadt sind Fachkräfte, haben also eine abgeschlossene Berufsausbildung. 20 Prozent gelten als Spezialisten oder Experten. Zu den Spezialisten zählen Meister und Arbeitnehmer mit Hochschul-Abschluss, als Experte wird geführt, wer mindestens einen Master-Abschluss hat. Allerdings gebe es auch 17,5 Prozent Helfer, also ungelernte Kräfte. Das spiegelt sicht auch in der Arbeitslosenstatistik wider. Während derzeit kaum Spezialisten oder Experten auf der Straße sitzen und es auch fast doppelt so viele freie Stelle wie arbeitslose Fachkräfte gibt, verhält es sich bei den Ungelernten genau anders herum: Ihr Anteil an der Arbeitslosenquote liegt bei 43 Prozent, aber nur 15,7 Prozent aller offenen Stellen ist für diese Klientel geeignet. Gegenmittel der Arbeitsagentur: Qualifizierung und Berufsabschluss. Lehmann: "Wir brauchen alle. Es darf keiner verloren gehen."

Industrie 4.0 : Kein Mensch weiß, welche Folgen die Vernetzung von Produktion und Kommunikation auf den Arbeitsmarkt hat. Industrie 4.0 ist derzeit in aller Munde. Nach einer Studie der IAB seien schon heute die Computer zumindest theoretisch in der Lage, viele Menschen zu ersetzen: 46 Prozent aller Helferberufe, 45 Prozent der Fachkraftberufe, immerhin 33 Prozent der Spezialistenberufe und rund 19 Prozent der Experten. Ob Menschen tatsächlich vom "Kollegen Roboter" überflüssig gemacht werden, hänge aber auch von anderen Faktoren ab. Wer wolle sich schon von einer Maschine bedienen oder pflegen lassen? "Das muss nicht so kommen. Trotzdem wird Weiterbildung deshalb immer wichtiger", so Lehmann, "nicht nur für Geringqualifizierte, sondern auch für Fachkräfte."

Fachkräftemangel: Dem Problem will die Agentur für Arbeit mit einem ganzen Bündel von Projekten entgegen steuern. Dazu zählen neben der Vermittlung über die Jobbörse unter anderem Aus- und Weiterbildungsmessen, die Erstausbildung junger Erwachsener mit Spätstarter-Programmen, assistierte Ausbildungen, Begleitung für Berufseinsteiger, Hilfen für Lehrlinge und Beihilfe für die Berufsausbildung. Potenzial Flüchtlinge: 80 Prozent der Flüchtlinge in der Region sind Männer, 77 Prozent von ihnen jünger als 35 Jahre. Und sie seien arbeitswillig, hat Lehmann festgestellt, wollten auf eigenen Beinen stehen oder dem Land "etwas zurückgeben". Dieses "Potenzial" will die Agentur nutzen.

Das Problem: Die meisten hätten keinen Abschluss oder keine Papiere dabei (wir berichteten). Außerdem hätten sie zunächst auch kein großes Interesse daran, lange "die Schulbank zu drücken", sondern "wollen raus und Geld verdienen". Um aus Flüchtlingen Facharbeiter zu machen, müsse man ihnen "realistischerweise mindestens fünf Jahre Zeit geben", so Lehmann. Aber sie sind in einigen Branchen hochwillkommen: 265 Flüchtlinge seien bereits an Arbeitgeber vermittelt werden, die meisten an die Gastronomie. Die Agentur will die Quote weiter steigern, etwa durch spezielle Vermittlungsbörsen, und potenzielle Arbeitgeber beraten, etwa in den rechtlichen Rahmenbedingungen und über Fördermöglichkeiten. Darüber hinaus gibt es Konzepte, sie schrittweise Richtung Ausbildung zu bringen.