Benjamin Geigls Schreibtisch sieht trügerisch ordentlich und übersichtlich aus – für ihn eine Überlebenstechnik. An manchen Tagen sind ordentlich sortierte Unterlagen das Einzige, was er im Chaos seines Arbeitsumfelds verlässlich steuern konnte. Foto: Eberhardt

Im Spannungsfeld von Menschlichkeit und dem erbarmungslosen Mahlapparat der Flüchtlingspolitik.

Kreis Freudenstadt - Flüchtlingsströme, Flüchtlingsunterbringung – ein Spannungsfeld, das Politik und Gesellschaft beschäftigt. Über wen jedoch kaum geredet wird, sind diejenigen, die den Druck neutralisieren müssen.

Ein Besuch beim Sozialamt im Landratsamt. Tetris schießt einem durch den Kopf. In dem Computerspiel-Klassiker fallen in steigendem Tempo unterschiedlich geformte Bausteine vom Himmel. Der Spieler muss diese möglichst lückenlos und immer schneller stapeln. Mit zunehmendem Spielfortschritt wächst der Stresspegel, bis man irgendwann zugeschüttet wird. Es klingt wie die Arbeit von Sachgebietsleiter Benjamin Geigl und seinem Team. Sie sind im Landratsamt für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen verantwortlich.

"Am ersten Werktag im Monat erfahren wir, wie viele Leute wir nehmen müssen", erklärt Benjamin Geigl. 1,8 Prozent der in einem täglichen Strom in der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe ankommenden Flüchtlinge muss der Kreis Freudenstadt aufnehmen. In einer kontinuierlichen Wiederholungsschleife gehen Geigl, Sozialbetreuer und Hausverwalter Belegungspläne durch, Woche für Woche, Monat für Monat. Schauen, wo welche Art von Platz frei ist oder frei wird. Für Männer oder Frauen, für Familien oder Einzelpersonen, für Religionen und Nationalitäten, die sich besonders gut oder überhaupt nicht vertragen.

Wenn es gut läuft, haben Geigl und sein Team eine Woche Zeit, bevor die Menschen tatsächlich eintreffen – per Bus. Wenn es nicht so gut läuft, einen Tag. Wenn sie Glück haben, hauen ihre Belegungspläne hin. Wenn nicht, muss bis zum Abend eine neue Lösung gefunden werden. Zur Not mit Bauzäunen als Raumteiler in einer Grundschule. Tetris mit Menschen – jeden Monat von neuem. Einem Durchgangsbahnhof gleich fahren täglich Busse von Karlsruhe aus in alle Himmelsrichtungen. "Das darf man sich aber nicht als fixen Zeitplan vorstellen", erklärt Geigl. "Die Aufnahmestelle ist ein Ameisenhaufen." Wer eigentlich im Bus sitzen sollte, ist vielleicht noch beim Arzt oder sonst wo unterwegs. Aus der Abfahrt am Morgen wird unter Umständen Nachmittag. 30 Minuten bevor der Bus tatsächlich in Freudenstadt ankommt, gibt der Busfahrer per Handy im Landratsamt Bescheid. Eine der wenigen handfesten Informationen, die in diesen Stunden zur Verfügung stehen.

Ob ihre Unterbringungsplanungen aufgehen, wissen Geigl und seine Mitarbeiter, wenn die Bustüren aufgehen. Aus Karlsruhe kommen vorab nur Listen mit Basidaten: Nationalität, Geschlecht, Name. Keine Information, wer verwandt oder im Clan unterwegs ist. Das bleibt der Ratekompetenz im Landratsamt überlassen. "Wir wissen auch nicht, ob trojanische Pferde dabei sind", sagt Geigl trocken. So werden Personen bezeichnet, die eigentlich spezielle Versorgung benötigen: Kranke und vor allem Schwangere. Mit solchen etwas zynischen Arbeitsvokabeln versuchen sich Geigl und seine Mitarbeiter notdürftig zu schützen in einem Spannungsfeld, das beim Zuhörer spätestens nach zehn Sätzen kafkaeske Beklemmungsgefühle auslöst. Wo die gesellschaftliche Forderung nach Empathie und Menschlichkeit auf den erbarmungslosen Mahlapparat der Flüchtlingspolitik trifft, in dem alles nach unten weitergeleitet wird – Verordnungen ebenso wie Menschen.

Das Landratsamt ist die letzte Ebene. Hier kann nichts mehr weitergeleitet werden. Zwölf Mitarbeiter müssen hier mit allem fertig werden: dem Frust und der Angst der Flüchtlinge, ihrer wachsenden Zahl, den sinkenden Raumkapazitäten, den Einzelschicksalen und der Unmöglichkeit der individuellen Betreuung, aber auch der Ablehnung und der Fürsorglichkeit der Gesellschaft. Die Gesellschaft, die Ehrenamtlichen, sind die Ressource, auf die Geigl und seine Mitarbeiter nicht verzichten können. Denn diese kümmern sich um die ersten Gehversuche der Flüchtlinge am neuen Wohnort. "Ohne sie würde es nicht gehen", sagt Geigl. Aber mancher ist mit seinem Idealismus schon am harten Bild der Realität zerschellt. Wenn allzu unterschiedliche Kulturen aufeinander geprallt sind, wenn der Flüchtling in der Realität nicht der Vorstellung des dankbaren Schutzsuchenden entspricht, wenn der Samariterinstinkt vom Frust überwältigt wird.

Damit dies möglichst nicht geschieht, müssen auch die Unterstützer behutsam an die Aufgabe herangeführt werden. "Das ist eine herausfordernde Arbeit", erklärt Geigl. Man könnte es wohl auch als kontinuierlichen Tanz auf der Rasierklinge bezeichnen. Geigl selbst weiß nach zehn Jahren beim Sozialamt: Mit Gutmenschentum kommt man nicht weiter. Auch erfahrene Freiwillige in der Flüchtlingsarbeit wissen dies. Mancher von Geigls Mitarbeitern hat es jedoch nicht lange in dem Feld ausgehalten. Bei den übrigen fragt man sich, wie sie es geschafft haben.

Heute ist das Team im Landratsamt zwölf Mann stark – zu wenig. Als die erste große Flüchtlingswelle kam, waren es vier Leute, die mit diesem menschlichen Tsunami klarkommen mussten. Sieht so die Hölle aus? "Ja", sagt Benjamin Geigl schlicht. Er hat schöne Worte längst gegen schmucklose Tatsachenbeschreibungen getauscht. Auszusprechen wie es ist, ist ein Teil des Druckabbaus. Im Mitarbeitergespräch, in der neu eingeführten Supervision, in der Unterhaltung. "Aus Gründen des Selbstschutzes", erklärt Geigl. Spielt er eigentlich selbst Tetris? "Nein", sagt er auflachend. "Das machen wir hier genug."