Heimatgeschichte: Tagebuchnotizen des katholischen Vikars bezeugen Chaos und Verzweiflung

Der umfänglichen Dokumentation über die Stadtgeschichte von Freudenstadt zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist ein weiteres Kapital hinzuzufügen.

Fr e udenstadt. Franz-Josef Dennenmoser, katholischer Vikar in Freudenstadt von 1939 bis 1945, hat Tagebuchaufzeichnungen über die französische Besatzung ab Mitte April 1945 angefertigt. Bislang sind die Notizen unveröffentlicht.

Über verwandtschaftliche Beziehungen erreichten im Frühjahr 2017 diese Papiere Karl-Heinz Krüger in Hallwangen. Der ehemalige Leiter der Luise-Büchner-Schule in Freudenstadt bearbeitete die nicht mehr gut lesbaren Dokumente, indem er sie abschrieb und ab und an mit Erläuterungen versah. Insgesamt handelt es sich um sieben eng bedruckte DIN-A4-Seiten.

Im Folgenden zitieren wir aus den Tagebuchaufzeichnungen. Sie zeigen bereits im Vorfeld der Stadtbesetzung durch französische Truppen, dass in Kriegszeiten der Dienst für die katholischen Gläubigen in den verstreuten Gemeinden eine anstrengende, zeitweise gefahrvolle Mission gewesen ist. Artilleriebeschuss und Jagdbomberangriffe riefen zunächst Chaos und Verzweiflung hervor. "Gegen Morgen ließ der Beschuss nach, aber immer noch lagen wir unter Störfeuer. Ich konnte diesen Morgen vor Ungeduld kaum erwarten. An ein Zelebrieren war nicht zu denken. Als wir aus dem Keller kamen, sahen wir die Stadt brennen. Man konnte das Haus nicht verlassen, wußte man doch nicht, wann wieder Granaten oder Bomben einschlagen würden. Es kamen Flieger, griffen aber nicht an. Ich frühstückte, betete Brevier und wartete auf das Kommende. Um 10 Uhr etwa begann der Infanteriekampf vor der Stadt. Wir sahen nichts, spielte sich doch der Kampf am nördlichen Ende der Stadt ab. Man hörte die Abschüsse und Einschläge der Infanteriegewehre, Maschinenpistolen, Maschinengewehre, Granatwerfereinschläge und Panzerfäuste. Besonders scharf peitschten die Gewehrgranaten durch die Stadt. Soweit die Bewohner der Stadt nicht in die Wälder geflüchtet waren, schon während des Artilleriebeschusses, oder in guten Kellern sich zusammendrängten, waren sie in Felsenbunkern, in den Steinbrüchen am Hotel Waldeck beziehungsweise Waldlust geflüchtet."

Der Feind, so Vikar Dennenmoser, rückte mit Panzern in die Stadt ein, und am 17. April ab 10.30 Uhr galt Freudenstadt als von den Franzosen besetzt. Dennenmoser weiter: "Die IV. marokkanische Division hatte die Stadt besetzt. Es waren weiße Franzosen aus allen Teilen Frankreichs und Marokkaner. In den folgenden Tagen zog vieles durch die Stadt an Truppen: Franzosen, Marokkaner, Algerier, Tunesier, Senegalneger; marokkanische Gebirgstruppen waren die einzigen, die zu Fuß mit ihren Mulis zu Tausenden durchzogen. Ihr Anblick war furchterregend."

Weiter heißt es: "Die vertierte Soldateska stürzte sich in die Häuser, die noch standen, oder zerstört waren aber noch nicht brannten, zerschlugen alles, was sie nicht brauchten, und steckten viele Häuser in Brand, die noch nicht durch die Brandgranaten Feuer gefangen hatten. Ganze Straßenzüge wurden angezündet. Schlimme Tage kamen jetzt. Nichts war mehr sicher, kein Mensch und kein Eigentum mehr. Die Frauen wurden in großer Zahl vergewaltigt. Wie habe ich in diesen Tagen und Nächten gebangt und gebetet, besonders für die Katholiken im Murgtal, unter denen ich nicht sein konnte."

Der Geistliche steigerte sich angesichts des Ausmaßes der Zerstörung und des Leids der Bevölkerung in einem "Grimm über die blödsinnige Verteidigung dieser offenen Stadt" hinein. Gleichwohl setzten sich die angstvollen Tage fort: "Die plündernden Franzosen waren besonders scharf auf Wert- und Schmucksachen, Fotos, Schreibmaschinen, Fahrräder, Motorräder, Autos. Jeder musste gewärtig sein, dass man ihm die Uhr abnahm. Widerstand war zwecklos, immer hatte man den Lauf der Schusswaffe vor sich. Wenn auch nach den ersten Schreckenstagen eine Polizei solche Untaten verfolgte, die Schrecken nahmen deswegen doch kein Ende. Auf alle Klagen erhielt man die Antwort: ›SS und Gestapo haben es in Frankreich nicht anders gemacht‹. Und es war leider nicht gelogen. So bekamen wir am eigenen Leib zu spüren, was vorher anderen Ländern von deutscher Seite geschehen war."

Es zeigte sich in dieser schicksalhaften Epoche aber auch, dass Menschen in Notzeiten bereit sind, zusammenzurücken. Gegen Ende von Dennenmosers Aufzeichnungen finden sich Worte, die Hoffnung aufkeimen ließen: "Am Sonntag, 22. April, wanderte ich zu Fuß nach Baiersbronn zum Gottesdienst. Ich hatte meine schlechteste Tasche mitgenommen für den Fall, dass sie mir abgenommen würde. Ich empfahl mich dem Schutz Gottes und wurde auch nicht im Geringsten behelligt. Ich musste die Leute zuerst sammeln zum Gottesdienst. Wie die sich freuten über mein Erscheinen!"