"Ich werde noch einen Zahn zulegen und dort auftauchen, wo man mich nicht erwartet": Hans-Joachim Fuchtel (CDU) Foto: Archiv Foto: Schwarzwälder-Bote

Interview: Fragen nach den Ursachen für den Absturz der etablierten Parteien im Wahlkreis / Fuchtel: Jede Menge direkter Kontakte

Nordschwarzwald. Nach den eklatanten Stimmverlusten der etablierten Parteien bei der Bundestagswahl drängen sich viele Fragen auf. Was läuft schief in der Politik und in der Diskussionskultur? Wir führten ein Interview mit den beiden alten und neuen Abgeordneten aus dem Wahlkreis, welche Erkenntnisse sie daraus ziehen. Beiden wurden die selben Fragen gestellt. Heute antwortet darauf Hans-Joachim Fuchtel (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär.

Herr Fuchtel, die AfD hat im Wahlkreis 15 Prozent der Stimmen geholt, ist im Wahlkreis auf dem Papier zweitstärkste Kraft geworden. Sie sagten, sie hätten die Botschaft der Wähler verstanden. Wie lautet sie denn, die Botschaft?

Die primäre Botschaft der Wähler lautet: Nimm mich wahr! Und die zweite Botschaft lautet: Nimm mich ernst! Offenbar haben manche Wähler den Eindruck, "die in Berlin" sind zu sehr damit beschäftigt, nur die großen Probleme der Welt zu lösen, und die Probleme des kleinen Mannes werden übersehen. Beispiel "Dieselgate": Die Bürger haben gesehen, was in den USA die Behörden für die Auto-Kunden herausgeholt haben, während wir hier in Deutschland das Problem im Gesamtzusammenhang von Autoindustrie und der daran hängenden Arbeitsplätze lösen wollten. Dass wir da anders vorgehen müssen als die Amerikaner und unser Weg Sinn macht, haben wir nie genug erklärt. Das muss sich ändern. Da müssen wir transparenter, verständlicher werden.

Haben Sie den Leuten zuletzt zugehört oder bewegten Sie sich beispielsweise im Wahlkampf ohnehin nur im Dunstkreis der eigenen Klientel?

Sicher ist es überwiegend so, dass wir Politiker im Wahlkampf von der eigenen Klientel getragen werden. Um deutlich mehr Menschen zu erreichen, sind wir diesmal einen neuen Weg gegangen, standen an über 11 000 Haustüren und haben da persönlich zu den diversen Veranstaltungen eingeladen: allein 17 sehr gut besuchte Gasthof-Abende! Da wurde selbstverständlich zugehört, manchmal drei bis vier Stunden lang. Und ich gehe viel in Betriebe. Da ist es normal, dass ich Menschen aus allen politischen Lagern treffe – und ihnen sehr genau zuhöre. Das ist mein Anspruch: Der Wähler ist mein Kunde. In Zeiten der Mediendemokratie verzichten viele Wählerinnen und Wähler auf direkte Kontakte. Eigentlich sehr schade!

Weshalb sehen so viele Leute etwa in Musbach oder Lützenhardt keine Alternative zur AfD? Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit nähert sich der Vollbeschäftigung, es lebt kein einziger Flüchtling in Musbach.

Die AfD wurde überwiegend aus Protest gewählt, das zeigen alle Wahlanalysen. Warum eine konkrete Gemeinde erhöhte Protestanteile an den Tag legt, hat sicher etwas mit dem regionalen Mikrokosmos zu tun, in dem sich die Menschen dort bewegen. Das darf man jetzt nicht stigmatisieren und an den Pranger stellen, sondern wir müssen Angebote an diese Menschen machen, wie wir sie künftig besser wahrnehmen können. Mein Angebot ist: Sprecht mit mir. Sagt mir, wo euch der Schuh drückt. Ich will der Bundestagsabgeordnete für euch sein, der eure Probleme löst. Das habe ich immer so gehandhabt, dafür wurde ich so oft wiedergewählt. Wenn ihr das aber nicht nützt, habt ihr hinterher auch kein Recht, euch zu beschweren. Leider steuern die Leute nicht so schnell um, obwohl man heute jede Information im Internet bekommen kann. Aber "Fake News" machen der seriösen Politik da das Leben ganz schön schwer.

Die SPD im Wahlkreis hat sie attackiert, die CDU ignoriert, beide haben Wähler verloren. War Ihr Umgang mit der AfD im Wahlkampf die richtige Strategie oder haben Sie sie damit nur noch stärker gemacht?

Meine Strategie im Wahlkampf war, den politischen Gegner nicht zu diskreditieren. Das hat etwas mit Haltung und dem Leben von echten Werten zu tun. Ich bleibe dabei: Das ist der richtige Weg im politischen Diskurs einer pluralistischen Gesellschaft. Gerade bei den großen Herausforderungen muss die Sachdiskussion in den Mittelpunkt. Vor 20 Jahren hätte ich das auch noch etwas anders gesehen. Dass der zuweilen rüde Ton der AfD offensichtlich für diese Partei Früchte trägt, hat mit unserer Aufmerksamkeits-Ökonomie in den Medien zu tun. Dem muss ich mich nicht unterordnen. Aber wir haben bei jeder Veranstaltung auf die Auswirkungen der Wahl von Rechtspopulisten hingewiesen, und es wäre für unser Land besser gewesen, wenn das stärker berücksichtigt worden wäre. Das wird sich noch bitter weisen.

Im politischen Berlin dreht sich derzeit scheinbar alles nur um die Koalitionsfrage. Geht’s nach kurzem Wahl-Schreck gleich wieder zurück zur Tagesordnung?

Meine Wahrnehmung ist: Die Welt, in der wir leben, hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Und mit dieser Wahl hat sich auch unser Land verändert. Das ist nicht Verdienst der AfD, sie ist nur ein momentaner Nutznießer davon. Dem stellt die CDU 70 Jahre Kontinuität und die größte Erfahrung in der Führung dieses Landes gegenüber. Das Wesen dieser wohl noch einzigen Volkspartei ist, dass nicht alles auf dem offenen Markt ausgetragen wird. Aber zur Tagesordnung gehen wir da nicht einfach über, denn wir wollen ja wieder mehr Wähler erreichen. Der Wählerauftrag besagt, dass natürlich im Rahmen einer Koalition parallel zu diesem Prozess auch die Regierung entstehen muss, und ich habe volles Vertrauen, dass unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel das hinkriegt. Sie ist Weltmeisterin im Verhandeln. Das weiß jeder, der die vergangenen zwölf Jahre regelmäßig Nachrichten geschaut hat. Dem wird sich die gegenwärtige Aufgeregtheit um die Provokationen von Herrn Gauland unterzuordnen haben. Denn Herr Gauland löst keine Probleme. Das tun wir.

Wie wollen Sie in den nächsten vier Jahren den Kontakt zum "Volk" halten, vor allem zu denjenigen, die Sie bislang offenbar nicht erreicht haben?

Ich habe in meinem Wahlkreis 43,3 Prozent der Stimmen gewonnen. Mehr als 25 Prozent Unterschied zum nächsten. Das ist schon einmal ein sehr großer Teil des hiesigen Wahlvolkes, den ich mit meiner Arbeit offensichtlich solide erreicht habe. Ich werde noch einen Zahn zulegen und dort auftauchen, wo man mich nicht erwartet. Was ich im Augenblick wirklich schlimm finde, sind die verbalen Scharfmacher, die unterwegs sind. Das hatten wir schon einmal in unserer Geschichte – und es endete in einer gigantischen Katastrophe. Deswegen werde ich überall dazu auffordern, auch bei den sogenannten gesellschaftlichen Anlässen zu werben, dass unserem Land mit den Provokationen nicht gedient ist!

Zu den Parteiveranstaltungen und offiziellen Anlässen wie Empfängen kommen bevorzugt Ihre eigene Klientel und die örtlichen Größen aus Politik und Wirtschaft, die sich dann freut und artig Ihre Arbeit lobt. Ist diese Form der Basisarbeit noch zeitgemäß?

Knapp 13 Prozent AfD-Wähler werden nicht die gesamten Abläufe umwerfen, die sich doch in den zurückliegenden 70 Jahren gut bewährt haben. Wir Deutschen sind die führende Wirtschafts- und Innovationsnation. Mit den großen Herausforderungen in Europa und der globalisierten Welt wissen wir umzugehen – siehe das Pariser Klimaabkommen oder aus meinem Ressort die verstärkte Afrika-Hilfe, um die Ursachen der großen Fluchtbewegungen zu beheben. Außerhalb Deutschlands ist Angela Merkel ein Stabilitätsgarant für die Welt. Das bekomme ich auf allen meinen Auslandsreisen bestätigt. Was neu hinzukommen muss im politischen Dialog mit "dem Volk", das mehr Wahrnehmung seiner Interessen einfordert, ist das Herunterbrechen dieser "Großwetterlagen" in den Alltag der Menschen. Aber das kommt schon auf den Weg, wenn Sie sich beispielsweise die YouTube-Interviews von Angela Merkel anschauen. Diese Dinge sind in Bewegung, auch wenn wir noch nicht alles Neue ausgelotet haben. Bei den Veranstaltungen der beschriebenen Art werde ich aber etwas Neues machen, in dem ich dazu aufrufe, dass Zusammenhalt in Deutschland nötig ist, keine Spaltung.

Geht das im politischen Alltag überhaupt, Kontakt zu den Bürgern zu halten?

Ich habe das in der Vergangenheit über verschiedene Wege gemacht: 290 total ausgebuchte Bürgersprechstunden, bis zu 2500 Bürgerinnen und Bürger besuchen mich jährlich in Berlin, also so viele Menschen, wie manche Gemeinden Einwohner haben. Das ist meiner Meinung nach schon eine Menge direkter Kontakt zum Bürger. Dazu kommen unzählige E-Mails und Anrufe sowie viele Veranstaltungen, die ich, wann immer möglich, besuche. Das darf jedoch nicht als Einbahnstraße verstanden werden. Wer sich als Bürgerin oder Bürger missverstanden fühlt oder seine Interessen nicht genug bei uns in Berlin gewürdigt sieht, muss auch selber aktiv werden und es uns unbedingt erzählen. Schauen Sie in den Bereich Pflege: Hier haben uns die Menschen von ihren Nöten berichtet, und jetzt ändert sich etwas. Nachhaltig und zum Besseren. Oder beim Mindestlohn. Politik verlangt in einer Demokratie über die reine Wahl hinaus auch Mitwirkung! Meine Bitte lautet daher: verstärktes Engagement, gerade auch in den demokratischen Parteien.

 Die Fragen stellte Volker Rath