Die Pastoren Frahan Aleid (links) und Harald Rauch bauen gemeinsam kulturelle Brücken für Flüchtlinge. Foto: Müller Foto: Schwarzwälder-Bote

Seelsorge: Farhan Aleid und seine Familie fliehen vor dem Krieg / Er kümmert sich nun um Flüchtlinge

Von Claudia Müller

Der syrische Pastor Farhan Aleid und seine Familie sind nach dreieinhalb Jahren Flucht in der Region angekommen. Im Gespräch erzählt er, was ihn vertrieben hat. Und wie seine Heimat war, bevor der Krieg sie zerstörte.

Freudenstadt. Die Geschichte von Farhan Aleid beginnt in einem Land mit westlichen Standards. Mit Internet, Kinos und Banken aller Art. Syrien hatte vor dem Krieg eine gute Infrastruktur. Die Kämpfe haben es um 100 Jahre zurückgeworfen, beklagt Aleid. Für den Durchschnittsbürger sei Syrien ein angenehmes Land gewesen. "So sicher", erzählt er, "dass du nachts mit einer Million Dollar hättest durch die Gegend spazieren können und dir wäre nichts passiert."

Wenn es um Politik ging, war es nicht leicht, seine Meinung frei zu sagen. Aber diese Einschränkung führte auch dazu, dass extreme, islamistische Gruppen viele Jahre an der kurzen Leine gehalten wurden. "Nachdem der Krieg begonnen hatte, kamen diese Leute zu Waffen und zu Autorität. Seitdem ist es in Syrien nicht mehr sicher", fasst Aleid die Ereignisse zusammen.

Damals war es dort noch möglich, dass der evangelische Pfarrer Aleid eine Bibelschule leitete und mehreren Gemeinden vorstand. Der heute 41-Jährige hatte gute Kontakte zu Christen in der ganzen Welt, und in seinem Pass waren viele Visa und Einreisestempel. "Es gab Zeiten, da war ich zwei Mal im Monat im Ausland – in Australien, in Amerika, in Europa", erinnert sich der Syrer. Auch im Netzwerk syrischer Christen hatte Aleid seinen Platz.

Diese Kontakte kosteten ihn beinahe das Leben. Anderthalb Jahre nach Kriegsbeginn unternahm er eine Reise von Süd- nach Nordsyrien, um dort Hilfe zu vermitteln. "Den Menschen dort fehlte es an allem. Sie brauchten Essen, viele waren verletzt und brauchten Blutspenden", sagt er über den Grund für seine gefährlichen Fahrt. Wie gefährlich, wurde ihm erst klar, als er innerhalb von 30 Stunden viermal dem Tod in die Augen sah. Zweimal verfehlten ihn Scharfschützen nur knapp. Sie trafen das Auto.

Zwischen die Fronten geraten

Einmal kontrollierte ihn an einem Checkpoint ein muslimischer Kämpfer. Wenn der Aleids Ausweis umgedreht und gesehen hätte, dass er kein Muslim ist, wäre das Aleids Todesurteil gewesen, möglicherweise auch das seines Fahrers. Aber bevor der Milizionär nachsehen konnte, fuhr nur ein paar Meter weiter ein Kleinbus in ein Taxi. Es knallte und es herrschte Aufregung. War es ein Anschlag? Der Kämpfer schmiss dem Pastor den Ausweis ins Auto, der Fahrer gab Vollgas.

Das vierte Mal war vollends zu viel für den Pastor. Unvermittelt kamen er und sein Fahrer zwischen die Fronten zweier verfeindeter militärischer Splittergruppen. "Eine hat unser Fahrzeug konfisziert, um darin ihre Verwundeten abzutransportieren, im Sand bildeten sich Blutlachen", schildert Aleid das Geschehen. Die Erinnerung daran bringt ihn noch Jahre später um den Schlaf. "Meine ganze Persönlichkeit taugt nicht für einen Actionfilm. Und da stehe ich plötzlich mitten in einem." Nur mit einem T-Shirt bekleidet, sah er sich den Kriegern gegenüber. Er spürte ihre Aggressivität, ihre Wut. Aber sie ließen ihn dort stehen, ließen ihn am Leben.

"Ich verdanke es ganz und gar der Gnade Gottes, dass ich da heil raus gekommen bin", ist sich Aleid sicher. Und sicher war er sich jetzt auch: Wir müssen als Familie hier weg. Seine Heimat verlassen wollte er eigentlich nicht. Aber er konnte es nicht mehr verantworten, zu bleiben.

Zunächst ging die Familie in den Libanon. Aleid erholte sich langsam von seinen Erfahrungen. Später wurde bei ihm ein posttraumatisches Stresssyndrom diagnostiziert. Vom Libanon kam die Familie auf Umwegen in ein Flüchtlingsheim nach Mecklenburg-Vorpommern. Das war vor wenigen Monaten. Zu einer Zeit, als das Jugend-, Missions- und Sozialwerk (JMS) in Altensteig sich gerade überlegte, wie sich die kulturelle und sprachliche Lücke zu den Flüchtlingen aus dem arabischen Raum in ihrer Region überbrücken lässt. Über einen Kollegen hörte Pastor Harald Rauch, Leiter des JMS-Arbeitszweigs "Christ for Asia", von Aleid.

Die beiden trafen sich und merkten schnell: Das passt. Inzwischen hat Farhan Aleid eine Arbeitserlaubnis. Damit er genug Zeit hat, Deutsch zu lernen, ist er derzeit nur zu 40 Prozent bei JMS angestellt. Sein Dienstauftrag führt ihn auch immer wieder nach Freudenstadt. Die Familie lebt in Bösingen und ist begeistert davon, wie freundlich die Nachbarn sie aufnehmen.