Ein Weg ins Ungewisse: Sei He (von links), ihre Tochter, Karin Fischer und der Sohn. Die Familie will nicht, dass Fotos ihrer Gesichter veröffentlicht werden. Foto: Werthenbach

In Deutschland geborenen Schülern droht Abschiebung nach China. Verstoß gegen Ein-Kind-Politik.

Freudenstadt - In China droht ihnen eine hohe Strafe, seit 15 Jahren sind sie in Deutschland, nun sollen sie gehen: Sei He und ihr Mann Aimin Wang erhielten im April ihren Abschiebungsbescheid – der auch ihre beiden in Deutschland geborenen Kinder betrifft.

Ein Einzelschicksal? Daran glaubt die ehrenamtliche Asylhelferin Karin Fischer nicht. Sie habe von mehreren chinesischen Asylbewerbern in der Region erfahren, die viele Jahre nach ihrer Ankunft nun plötzlich abgeschoben werden sollten. "Da wird jetzt noch schnell versucht, reinen Tisch zu machen", vermutet sie mit Blick auf die Zahl der Abschiebungen in Deutschland und die Bundestagswahl im September.

Nachdem He bereits 1996 Zwillinge geboren hatte, wurde sie drei Jahre später erneut schwanger. Weil Wang und He damit gegen Chinas Ein-Kind-Politik verstoßen hatten, musste die Mutter zwangsabtreiben. Der Vater kam ins Gefängnis und nur gegen eine Strafzahlung von etwa 7500 Euro wieder frei. Seither lebte die Familie versteckt vor dem autoritären Regime in der südchinesischen Provinz, da der Mutter zusätzlich eine vom Staat veranlasste Entfernung der Gebärmutter drohte. In der Folge floh Wang im Jahr 2000 nach Deutschland, He kam 2002 über den Landweg durch Russland nach. "Eine Flucht mit den dreijährigen Zwillingen wäre unmöglich gewesen", erklärt Fischer. Seitdem leben die heute erwachsenen Geschwister bei ihren Großeltern in Südchina. Wang zog nach Metzingen, He wohnt bis heute in Freudenstadt.

Mit ihr unter einem Dach leben auch ihre elf und zwölf Jahre alten Kinder. "Sie sprechen fließend Deutsch, sind hier sozialisiert und können hier einen Beruf finden", sagt Fischer über den Jungen und das Mädchen, die beide das Kepler-Gymnasium besuchen.

Anträge sind seit rund 15 Jahren abgelehnt

Fischer habe die Mutter 2008 kennengelernt, seitdem unterstützt sie die Familie bei Behördenterminen, Briefwechseln mit Anwälten und anderen Hürden des Alltags. Zwar wurden die Asylanträge von Wang und He bereits vor rund 15 Jahren abgelehnt – doch seitdem wurde laut Fischer "teilweise halbjährlich" ihre Duldung neu ausgesprochen. "Eineinhalb Jahre lang waren wir sogar richtig glücklich", sagt Fischer im Rückblick auf das Jahr 2015, als Wang seine Arbeitserlaubnis erhielt und die Wohnsitzauflagen für Asylbewerber gelockert wurden.

Seitdem habe er eine feste Stelle und versorge seine Familie in Freudenstadt so weit es möglich sei. Besonders ärgert Fischer, dass ihre Anträge auf Familienzusammenführung seit Jahren abgelehnt würden: "Das wäre ja auch für den Staat günstiger, wenn die ganze Familie zusammen wohnen könnte." Der Abschiebungsbescheid sei allerdings das erste Formular gewesen, auf dem die gesamte Familie gemeinsam erwähnt werde. Verständnis fehlt ihr auch dafür, dass die Mutter – ebenfalls der deutschen Sprache mächtig – keine Arbeitserlaubnis bekommt.

"Das ist wohl von den Weisungen des jeweiligen Ausländeramts abhängig", so Fischer. "Ich will in Deutschland bleiben und hier arbeiten. In China würde es uns viel schlechter gehen", sagt He selbst. Ihren Angaben zufolge würde die Familie im Fall einer Abschiebung auf einem Bauernhof bei ihren Eltern in Südchina unterkommen. "Dort könnten wir kein Geld verdienen, und wir wissen nicht, welche Strafen uns bei einer Rückkehr drohen", sagt die Mutter. "Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Baden-Württemberg vom 16. September 2016 besagt, dass Eltern mit mehr als einem Kind – gleich ob sie im Heimat- oder Ausland geboren sind – bei einer Rückkehr einer Gruppenverfolgung des chinesischen Staats unterliegen", so Fischer.

Reisepässe liegen den Behörden vor

Als sie nun der Bescheid über die "zeitnahe Abschiebung" erreichte und Fischer zudem erfuhr, dass anderen chinesischen Asylbewerbern in der Region das gleiche Schicksal droht, entschied sie sich zu einem Antrag an die Härtefallkommission des Landesinnenministeriums: "Bis zum 8. September werden keine weiteren Maßnahmen gegen die Familie eingeleitet. Alle laufenden Antragsverfahren werden mit der Stellung des Härtefallantrags beendet."

Besonders liegen der ehemaligen Lehrerin die Kinder am Herzen, die zwar mit den Eltern chinesisch sprechen – "in China hätten sie aber keine Chance, sie sind in unsere Gesellschaft integriert". Die beiden scheinen verunsichert. Im Gespräch mit unserer Zeitung wünschen sie, namentlich nicht genannt zu werden, bestätigen aber die Aussagen ihrer Mutter: "Wir fühlen uns hier wohl und wollen in Deutschland bleiben." Ihre Geschwister in China kennen sie nicht – auch He hat sie seit ihrer Flucht nicht mehr gesehen. "Manchmal habe ich Kontakt per Internet mit ihnen", sagt die Mutter mit Tränen in den Augen, "dann fragen sie, wann ich nach Hause komme."

Laut Uwe Herzel, Pressesprecher des Regierungspräsidiums Karlsruhe, kann die Familie erst jetzt abgeschoben werden, da seit Januar ihre Reisepässe vorliegen. Fischer erklärt, sie hätten die Pässe im Original eingereicht hätten, damit ihr Aufenthaltsstatus neu geprüft wird – in der später enttäuschten Hoffnung auf ein positives Ergebnis. Damit gelte die Familie bei den Behörden als identifiziert. Fischer berichtet aber auch, dass vorher Kopien vorgelegt worden seien. Zudem gebe es andere chinesische Familien, die bis heute nur Kopien eingereicht und dennoch nun plötzlich abgeschoben werden sollten. Die Vermutung, dass die Abschiebungen mit der Bundestagswahl zu tun hätten, bezeichnet Herzel als "Quatsch".