Medizinstudenten mit Andreas Vogt von der Techniker-Krankenkasse und dem ersten Landesbeamten Reinhard Geiser (hintere Reihe, von rechts) sowie der Vorsitzenden der Kreisärzteschaft, Dorothee Müller-Müll (Zweite von rechts) Foto: Anthony Foto: Schwarzwälder-Bote

Medizinische Versorgung: Bessere Vernetzung mit Universitäten gewünscht / Aktive Anwerbung durch Gemeinden notwendig

Die Versorgung des ländlichen Raums mit Hausärzten wird immer mehr zum Problem. Um für den Hausarztberuf zu werben, organisierte die Techniker-Krankenkasse (TK) eine Tour "Raus aufs Land, rein ins Leben".

Kreis Freudenstadt. Den Studenten, so Andreas Vogt, Leiter der Landesvertretung Baden-Württemberg der TK, solle das Hausarzt-Leben näher gebracht werden. Auf der Tour von Freiburg bis Karlsruhe seien Besuche bei Hausärzten, Gespräche mit Bürgermeistern und Informationen über Gründung und Finanzierung einer Hausarztpraxis, vorgesehen, erläuterte er.

Medizinstudenten, die zur Zeit ihr Studium an den Universitäten in Hamburg, Göttingen, Freiburg, Berlin, Ulm und Tübingen absolvieren, nahmen an dieser Aktion teil. Fünf von ihnen kommen aus Baden-Württemberg und sympathisieren durchaus mit einer Rückkehr "ins Ländle" .

Eine Umfrage mehrerer Krankenkassen und der Landesregierung Baden-Württemberg unter Federführung der TK habe ergeben, dass sich die Versorgung mit Ärzten weiter verschlechtert und deshalb dringender Handlungsbedarf, insbesondere im ländlichen Raum, bestehe, so Vogt. Die Gemeinden sollten sich selbst auf den Weg aktiver Anwerbung machen, forderte er.

67 Hausärzte für 115 000 Einwohner

Im Landkreis Freudenstadt, erläuterte Vogt, seien drei Viertel der Ärzte über 50 Jahre alt. Zwar sei die Altersbegrenzung aufgehoben worden, dennoch werde sich die Situation angesichts des demografischen Wandels verschärfen. Im Landkreis Freudenstadt würden aktuell 67 Hausärzte rund 115 000 Einwohner versorgen. Viele Studenten hätten falsche Vorstellungen vom Beruf des Hausarztes, betonte Vogt. Immer noch sei er mit dem Vorurteil des Einzelkämpfers ohne Freizeit bei geringem Ansehen in der medizinischen Fachwelt behaftet. Dieses Bild stimme angesichts etlicher gesetzlicher Neuregelungen nicht mehr, erläuterte Vogt. Als Beispiel nannte er die Einrichtung von Notfallpraxen an Kliniken sowie deutliche Entlastungen bei Notfalldiensten.

Es gelte künftig, noch intensiver die Arbeits- und Lebensbedingungen attraktiver zu gestalten, damit junge Ärzte und ihre Familien sich im ländlichen Raum niederlassen, forderte Andreas Vogt. Teilzulassungen, Zusammenschluss von Praxen und Aufhebung der Residenzpflicht seien Schritte in die richtige Richtung. Außerdem habe die Landesregierung mit dem Aktionsprogramm "Landärzte" ein Programm zur Niederlassungsförderung aufgelegt.

Eine Chance sieht die TK in der Vernetzung von Kollegen untereinander und im Ausbau der Telemedizin. Auf die Online-Plattform "Perspektive Hausarzt" des Hausärzteverbands Baden-Württemberg machte Vogt ebenfalls aufmerksam.

Reinhard Geiser, erster Landesbeamter des Kreises Freudenstadt, überbrachte Grüße des Landrats und machte auf die vom Landkreis initiierten Förderprogramme wie das Medizinstipendium aufmerksam. Das löste bei den Studenten Verwunderung aus. Über diese "tollen Möglichkeiten" werde man an den Universitäten nicht informiert, bedauerten sie. 15 Stipendien seien bisher vergeben worden. Zwei Ärzte würden bereits im Landkreis arbeiten, freute sich Geiser. Medizinstudent Jürgen Ehret aus Tübingen verwies auf die Problematik der Anrechnung von Stipendien auf die staatliche Förderung Bafög. Da müsse man noch dran arbeiten, meinte Geiser.

Angesichts vieler Abiturienten, denen der Zugang zum Medizin-Studium durch den Numerus clausus verwehrt bleibe, sollte über eine Absenkung des Numerus clausus für das Fach Allgemeinmedizin nachgedacht werden. Die in Göttingen studierende Lisa Teichmann pflichtete ihm spontan bei. Sie habe fünf Jahre auf einen Studienplatz warten müssen.

Der Landkreis, betonte Geiser, habe enorm viel zu bieten. In diesem Zusammenhang sei eine offensivere Vermarktung wünschenswert. Das bestätigte Ärztin Dorothee Müller-Müll in ihrer Funktion als Vorsitzende der Kreisärzteschaft Freudenstadt bei. Die Vorteile einer Hausarztpraxis, insbesondere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, seien für sie ein wichtiger Anreiz bei der Gründung ihrer Praxis gewesen. Müller-Müll berichtete aus ihrem reichen Erfahrungsschatz, wobei sie die Zusammenarbeit unter den Kollegen hervorhob: "Wir ziehen hier alle am selben Strang", meinte sie.

Angebote an Unis oft nicht bekannt

In einer Fragerunde wurde über die Situation ausgebildeter Ärzte, die als Flüchtlinge in Deutschland ihren Beruf nicht ausüben dürften, diskutiert. Die Sprache, aber auch fachliche Nachweise seien große Hürden, stellte Müller-Müll fest. Dass Menschen, die sich unter Lebensgefahr auf die Flucht begeben, nicht auch noch an die Mitnahme entsprechender Zeugnisse denken, habe die kassenärztliche Vereinigung zwischenzeitlich wahrgenommen, berichtete die Ärztin. Man sei in Gesprächen, wie die Problematik schnell und konstruktiv gelöst werden kann.

Von den Freudenstädter Angeboten zeigten sich die angehenden Ärzte sehr angetan. Es sei schade, so Lisa Teichmann, dass sie nicht früher davon gewusst habe. Sie wäre sofort nach Freudenstadt gekommen. Überhaupt wäre es wünschenswert, dass diese Angebote an den Universitäten publik gemacht werden, meinten Lilly Koglin (Berlin) und Stefanie Winkler (Hamburg). Zudem solle der Beruf des Allgemeinmediziners an den Unis wieder größere Beachtung finden, forderte Anne Bunjes (Freiburg).