Die Landesregierung stelle im Vorfeld der Landtagswahl die Weichen in Richtung Einheitsschule. Foto: dpa

Philologenchef Saur fordert längere Lernzeit mit Mehrwert. Wohin führt unter Grün-Rot die Reise der Gymnasien im Land?

Freudenstadt - Das Bildungsbürgertum liebe das Gymnasium – und die Regierung teile diese Liebe. Das habe Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erst kürzlich wieder bekräftigt. Doch Bernd Sauer, Vorsitzender des Philologenverbands Baden-Württemberg, mag diesen Worten nicht so recht glauben – nicht nur wegen der Bekenntnisse der Grünen Jugend zur Einheitsschule.

Als Beispiel für sein Misstrauen nennt der Verbandschef bei einer Veranstaltung der FDP in Freudenstadt den neuen Bildungsplan. Der sei im erweiterten Niveau der Gemeinschaftsschulen bis auf leichte Abspeckungen mit dem der Gymnasien identisch und so angelegt, dass die Gymnasien durch die Gemeinschaftsschulen ersetzt werden könnten, befürchtet Saur. »Für mich ist es das ein Optionsbildungsplan für die Erosion des gymnasialen Schulwesens im Land«, wettert Saur, der sich als Gymnasiallehrer von der Landesregierung in die bildungspolitische Dinosaurierecke gedrängt fühlt: »Bei Informationsveranstaltungen des Kultusministeriums wurde die Philosophie der Gemeinschaftsschule als Speerspitze modernster Pädagogik gepriesen. Als altgedienter Gymnasiallehrer kommt man sich da vor, als würde man noch unterrichten, dass die Erde eine Scheibe ist.«

Eher Rohrkrepierer als Speerspitze

Dabei habe das Bildungswesen in Baden-Württemberg vor Grün-Rot im nationalen und internationalen Vergleich durchaus gut abgeschnitten. Dass die Gemeinschaftsschule ebenso gute Ergebnisse wie das gegliederte Schulwesen erzielt, bezweifelt der Verbandschef. Er hält die neue Speerspitze wohl eher für einen Rohrkrepierer: »Die Gemeinschaftsschule wird ein Flop«, prophezeit Saur, denn das selbstorganisierte Lernen auf unterschiedlichen Niveauebenen sei vielleicht was für gute Schüler, die Schwächeren fallen dabei aber durch den Rost, warnt der erfahrene Lehrer. Das zeigten ihm auch die Rückmeldungen der Gymnasial-Kollegen, die an Gemeinschaftsschulen unterrichten: »Ich bekomme regelrechte Verzweiflungsmails von Lehrern, die mir berichten, dass da alles nicht funktioniert.«

Saurs Schlussfolgerung: Baden-Württemberg braucht starke Säulen im Bildungswesen statt der Einheitsschule – und da sieht er die Landesregierung auf dem falschen Dampfer: zum Beispiel bei den Grundschulempfehlungen. Die Rolle rückwärts zur Verbindlichkeit will auch Saur nicht, aber die Verpflichtung, diese Empfehlung der weiterführenden Schule vorzulegen. »Uns geht wertvolle Förderzeit verloren, wenn wir nicht wissen, ob ein Kind für das Gymnasium empfohlen wurde oder nicht«, warnt Saur mit Blick auf die steigende Zahl der Sitzenbleiber in den Einstiegsklassen.

Damit ist er auf einer Linie mit der Landes-FDP. Die spricht im liberalen Jargon zwar lieber von einem »Einsichtsrecht« der Schulen in die Empfehlung, meint aber dasselbe: »Die aufnehmenden Schulen müssen wissen, welchen Förderbedarf die Schüler von der Grundschule her mitbringen«, sagt der FDP-Bildungsexperte Timm Kern (Horb). Den Lehrern zu unterstellen, sie würden die Kinder nach Empfehlungen sortieren und stigmatisieren, spreche Bände über das Misstrauen des Kultusministers in die Lehrerschaft.
Schüler sollen wählen können

Und noch ein weiteres Feld muss laut Saur dringend bearbeitet werden. »Wir brauchen die Wahlmöglichkeit zwischen G 8 und G 9, um den Begabungen und den Geschlechtern gerecht zu werden«, sagt er. Vor allem die Jungen seien entwicklungsbedingt oft die Verlierer der verkürzten Gymnasialzeit, so Saur, der bei den G 8-Schulabgängern aufgrund des Alters auch die Reife vermisst. Allerdings müsse ein Jahr mehr Lernzeit auch einen Mehrwert darstellen, so Saur: »Ich will keine GSG 9 im Sinne einer Gymnasiums-Schnecken-Gruppe als Bummelzug. Aber wir haben viele Ideen, wie wir das zusätzliche Jahr sinnvoll für die Jugendlichen nutzen können, um sie fitter und reifer für Studium und Berufsleben zu machen«, sagt er. Denn auch die Wirtschaft wolle keine Kinder einstellen.