Den Impulsvortrag hielt Kostas Petropulos, Leiter des Heidelberger Büros für Familienfragen. Foto: Haubold Foto: Schwarzwälder-Bote

Podiumsdiskussion: Nicht nur Krippenplätze und Ganztagsschule machen eine Kommune interessant und lebenswert

Von Petra Haubold Freudenstadt. Das Bündnis für soziale Gerechtigkeit lud unter dem Motto "Brennpunkt Familie" zahlreiche Interessierte zu einer Veranstaltung in den Kienbergsaal ein. Die Lebensbedingungen für Familien und der demografische Wandel waren Schwerpunktthemen für Referent Kostas Petropulos. Auf dem Podium beurteilten im Anschluss Kommunalpolitiker die Bedeutung und Schaffung umfassender familiengerechter Lebensbedingungen im Landkreis. Eingeladen hatten die Bündnispartner mit Marianne Reißing vom Familienzentrum und Renate Braun-Schmid von der Diakonie, die in das Thema einführte und die Gäste begrüßte. Man wolle die Zeit vor dem Kommunalwahlkampf nutzen, um zu schauen, wie es den Familien im Landkreis gehe. Denn auch hier nehme das Thema Armut, die zumeist Kinder treffe, einen immer größeren Stellenwert ein.

Ziel des Bündnisses sei es, um mehr Solidarität für benachteiligte Familien zu werben. Als Gastredner machte Kostas Petropulos, Leiter des Heidelberger Büros für Familienfragen und soziale Sicherheit, den Auftakt mit seinem Impulsreferat über die Lebens-, Arbeits- und die finanzielle Situation der heutigen Familie in Deutschland. Er hielt sich dabei zunächst an Statistiken und Fakten. "Laut Statistik geht es Familien in Baden-Württemberg gut", sagt er. Schaue man aber genauer hin, sehe es unter Berücksichtigung regionaler Einkommensdurchschnitte nicht mehr rosig aus. Paradebeispiel bei den differenten Lebenshaltungskosten einer Region seien die Mieten. Der Referent forderte einen Kurswechsel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: "Familien werden zwar mit Geld umschüttet", wusste Petropulos. Denn die Summe der staatlichen Förderung für Familien belaufe sich auf 200 Milliarden Euro. Was aber als Familienförderung hingestellt werde, sei häufig keine. Denn gerade Familien müssten wieder reichlich Steuern zurück bezahlen, etwa über die Lohn-, Umsatz- oder Ökosteuer und vor allem die gesetzliche Rente. "So schmilzt die offizielle Familienförderung auf sehr kleine Beträge zusammen."

Der Einkommensnachteil von Familien gegenüber Ehepaaren ohne Kind sei immens. Vor diesem Hintergrund plädierte Petropulos für echte wirtschaftliche Sicherheit, aber auch um Zeit: Sicherheit gebe es hierzulande nur noch, wenn beide Elternteile voll erwerbstätig seien. Am meisten leiden Doppelverdiener in Vollzeit und erwerbstätige Alleinerziehende. Zeitmangel sei deshalb heute der Faktor, der praktisch alle Familien betreffe.

Seiner Meinung nach ist es völlig falsch, immer mehr in die Infrastruktur mit Krippenplätzen und Ganztagsschulen zu investieren. "Denn Familien wollen Zeit für ihre Kinder haben." Doch die "schrumpf-alternde" Bevölkerung brauche Fachkräfte. Seit 1970 sei die Zahl der Kinder und Jugendlichen in Deutschland um 28 Prozent zurückgegangen. Wer sich als Region behaupten wolle, müsse heute um junge Menschen kämpfen, erklärte der Redner.

Mit Angela Allinger schilderte eine vierfache Mutter, die ihre Kinder viele Jahre lang allein erzogen hatte, ihre persönliche Lebenssituation. Hilfe habe die vor ihrem gewalttätigen Ehemann flüchtende Flensburgerin erst beim Familienzentrum gefunden. "Belastend waren der finanzielle Druck und die großen Schwierigkeiten, die Kinder zu integrieren", erzählte sie den sichtlich betroffenen Zuhörern.

Sie wolle junge Familien in die Ortsteile bekommen und "auf keinen Fall Ghettos entstehen lassen", sagte Daniela Sabien (SPD) bei der anschließenden Podiumsrunde, die von Bernd Schlanderer vom Kreis-Diakonie-Verband Calw moderiert wurde. Wichtig sei es, dass neben der Kinderbetreuung auch die Pflege nicht vergessen werde. Zudem stünden sichere Arbeitsplätze für sie ganz oben, dann kämen auch junge Familien in den Landkreis, forderte Beate Gernsheimer (FWV). Beim "Kampf um die Jungen" müsse der Landkreis die richtigen Angebote machen, meinte Andreas Bombel zum Thema "Familienfreundlichkeit".

Für Bärbel Altendorf-Jehle (BA) war klar: "Dass, was das Familienzentrum leistet, muss das Gedankengut von Freudenstadt sein." Der Quartiersgedanke bringe Alt und Jung zusammen. Zudem brauche man ein Frauenhaus, und auch die Asylbewerber müssten in das gesellschaftliche Leben einbezogen werden, etwa beim Neubürgerempfang. Die wirtschaftliche Situation sei nicht unbedingt verantwortlich für den Geburtenrückgang im Land, vielmehr gehe es um die gesellschaftliche Akzeptanz von Kindern, sagte Landrat Klaus Michael Rückert. Um junge Familien in die Region zu bekommen, müssten natürlich auch Breitband- und Straßeninfrastruktur stimmen, genauso wie die gesundheitliche Versorgung, so Rückert.

Die Bauplätze in Freudenstadt würden gut angenommen, in Sachen Familienpolitik sei die Stadt gut aufgestellt, auch kulturell habe man einiges zu bieten, erklärte Bürgermeister Gerhard Link. Er würdigte insbesondere die Arbeit des Familienzentrums.

Eine Bürgerin wollte wissen, "ob es je eine Zeit gab, in der es Familien richtig gut ging". Die 50er- und 60er-Jahre seien "die Hochzeit der Familien" gewesen, so der Tenor bei den Rednern.