Gruppenbild mit Schriftsteller: eine Schülerarbeitsgruppe samt Fachlehrerin Ulrike Ruetz (rechts) mit dem Gast Peter Stamm (Dritter von links). Foto: Keck Foto: Schwarzwälder-Bote

Erfolgsautor Peter Stamm hilft Oberstufenschülern auf die literarischen Sprünge

Von Gerhard Keck

Freudenstadt. Über 200 Oberstufenschülern der drei beruflichen Gymnasien in Freudenstadt samt ihren Lehrkräften und weiteren Interessierten bot sich im Foyer der Luise-Büchner-Schule Gelegenheit, mit dem Schweizer Autor Peter Stamm in einen Meinungsaustausch zu treten.

Abteilungsleiter Roland Schindler führte den Gast ein. Nach der üblichen anfänglichen Zurückhaltung entwickelte sich schließlich ein munteres Frage- und Antwort-Spiel. Peter Stamms Roman "Agnes" zählt neben Frischs "Homo Faber" und Büchners "Dantons Tod" zur so genannten "Pflichtlektüre" für das Abitur an den beruflichen Gymnasien. Da kam das Treffen mit dem erfolgreichen Schriftsteller, Jahrgang 1963, gerade recht.

Den Kontakt zu ihm hatte Oberstudienrätin Ulrike Ruetz, Fachlehrerin an der Luise-Büchner-Schule, hergestellt. Eine Schülerarbeitsgruppe bereitete unter ihrer Anleitung die Lesung vor. Als Moderatoren der Gesprächsrunde im Anschluss an Stamms kurzen Textvortrag fungierten Charlotte Bombel und Luca Krause.

Mit seinem Debütroman "Agnes" wurde 1998 Peter Stamm nach Aussage der Kritikerin Tanja van Hoorn zum "Shootingstar der Schweizer Literaturszene". Das Werk ist eine in Chicago angesiedelte mehrschichtige Schilderung der gescheiterten Liebesbeziehung zwischen einem Fachbuchautor und einer Physikdoktorantin. Der inhaltlich und formal anspruchsvolle Roman fordert folglich von den Schülern einige Denkarbeit.

Zur Textauslegung merkte ein Zuhörer an, die Lehrer interpretierten viel und machten aus einem zugrunde liegenden Gedanken deren zehn. Stamm kam den Schülern zu Hilfe: Interpretieren heiße nicht, den Gedanken des Autors punktgenau nachspüren zu müssen. Der Leser sei frei in der Auslegung, denn es gebe "nicht nur die eine richtige". Der Beginn des Romans mit der lapidaren Feststellung "Agnes ist tot" wurde von Schülerseite, etwas zu nachdrücklich, als "ordinär" empfunden. Dazu verwies Stamm auf sein zeitaufwendiges Ringen um den ersten Satz, in dem viel für den Fortgang der Handlung stecke.

Zu seiner Einstellung zum Tod befragt, bekannte Stamm, für ihn sei er "ein großes Rätsel". Ähnlichkeiten des Werks mit "Homo Faber" räumte Peter Stamm ein. "Geschichten sind immer erfunden oder bis zur Unkenntlichkeit verändert", betonte er. Übereinstimmende persönliche Erfahrungen seien daraus nicht abzuleiten. Gleichwohl spiele die eigene Biografie als Anstoß zum Schreiben mit hinein. Bei der schulischen Literaturarbeit wird häufig nach "Schlüsselstellen" in Texten geforscht. Eine solche in "Agnes" ausfindig machen zu wollen, betrachtete der Autor als schwierig, denn "keine Stelle kann einfach heraus genommen werden". Selbstredend schreibt Peter Stamm nicht für die Zielgruppe Schüler oder gar im Hinblick auf Prüfungen. Seine Leserschaft rekrutiert sich aus allen Generationen.

Die Entscheidung der Prüfungskommission im Ministerium für seine "Agnes" habe wahrscheinlich damit zu tun, dass den Klassikern ein moderneres Werk an die Seite gestellt werden sollte, mutmaßte er. Derzeit arbeitet Peter Stamm an einem Roman, der möglicherweise bereits im Herbst dieses Jahres auf dem Markt kommt.