Hoch die Flaschen: Drei Jugendliche spielen Szenen, wie sie täglich in Familien vorkommen können. Foto: Kuhnert Foto: Schwarzwälder-Bote

Wohnzimmeridylle in der Musikmuschel auf dem Marktplatz soll Denkanstöße geben

Von Hannes Kuhnert

Freudenstadt. Noch über das Wochenende ist sie aufgebaut, die traute Wohnzimmeridylle in der Musikmuschel auf dem oberen Marktplatz. Es ist eine Installation der diakonischen Bezirksstelle Freudenstadt, Fachstelle Sucht, zur Woche der Kinder aus Suchtfamilien. Die Szene wird seit Mittwoch von Passanten meist zunächst kritisch, dann mit viel Verständnis bestaunt.

Es wirkt gemütlich und vertraut: Ein Teppich, eine geblümte Couch, ein Fernseh-Gerät, ein Zeitungsständer und ein Couch-Tisch. Darauf Aschenbecher, Chipstüten, leere Gläser und geleerte Flaschen. Ganz normal?

Ganz normal! Sagen Maria Flaig-Maier von der Suchtberatung in Freudenstadt und Susanne Hennig von der Außenstelle in Horb. Sie wollen mit dem Arrangement darauf hinweisen, wie "normal" der Alkoholkonsum in der Familie beim Fernsehen empfunden wird. "Ganz unaufdringlich und ohne erhobenen Zeigefinger", so Henning, soll die Wohnzimmerszene auf den langen Weg zur Sucht hinweisen, soll den einen oder anderen zum Nachdenken anregen, ob auch bei ihm der Alkoholkonsum problematisch sein könnte.

Das Arrangement soll, so Henning, die Botschaft transportieren, dass bestimmte Verhaltensmuster in Familien die Gefahren und Folgen von Alkohol negieren oder verdrängen. Darunter würden besonders die Kinder leiden. "Die Sucht sitzt immer mit auf der Couch, ist immer da, wie eine lästige Tante, die nie verschwindet", formuliert Maria Flaig-Maier die Auswirkungen von Suchtverhalten in der Familie, vor allem auf Kinder.

Die Wohnzimmerszene und die dazu ausgelegten Informationsschriften könnten nach Aussagen der Beraterinnen Auslöser für Betroffene, aber auch für ihre Angehörigen und Familien sein, sich mit den Beratungsstellen in Horb oder Freudenstadt in Verbindung zu setzen, sich fachlichen Rat und Beistand zu holen.

Bereits am Dienstagabend hatte in der Kinderwerkstatt Eigen-Sinn ein Vortrag über die "vergessenen Kinder" auf die Situation von Kindern in suchtbetroffenen Familien aufmerksam gemacht. Anna Birgit Haigis, Erzieherin und Fachkraft für Suchtprävention, war vor gut 80 Zuhörern auf die Nöte der Kinder eingegangen, die miterleben müssen, wie Alkoholkonsum der Eltern oder eines Elternteils die Familie zerstört. Die Kinder, so Haigis, seien völlig verunsichert, oft alleingelassen und suchten nach Schutz und Wärme. In einer Spielgruppe unter ihrer Leitung nimmt sich die Kinderwerkstatt Eigen-Sinn dieser Kinder an, hört ihnen zu, nimmt sie ernst und begleitet sie.