Mutter Michaela und Bruder Maximilian sind froh, dass Katja Marie trotz ihres Handycaps ab kommenden Schuljahr das Kepler-Gymnasium besuchen kann. Foto: Brandt

Katja Marie ist seit ihrer Geburt schwerhörig - dennoch besucht sie ab kommendem Schuljahr das Kepler-Gymnasium.

Freudenstadt -Dietersweiler - Stellen Sie sich vor, Sie springen im Panorama-Bad von einem der Startblöcke ins Schwimmerbecken. Von jetzt auf gleich verwandelt sich die mit Geräuschen überflutete Welt der großen Schwimmhalle in eine Stille, in der Sie nur noch wage erahnen können, was außerhalb des Wassers vor sich geht. Vereinzelte Gesprächsfetzen dringen an ihr Ohr. Doch einer Unterhaltung zu folgen, die außerhalb des Schwimmbeckens stattfindet, scheint unmöglich.

So beschreibt Michaela Günther die Welt, wie sie ihre schwerhörige Tochter Katja Marie wahrnimmt. Dank einer größtenteils gelungenen Inklusion konnte Katja Marie die ersten vier Jahre ihres Schullebens in der Hartranft-Grundschule in Freudenstadt verbringen. Ab September darf sie das Kepler-Gymnasium besuchen.

Dass mit Katja Maries Gehör etwas nicht stimmt, wird Mutter Michaela bewusst, als sie feststellt dass die Kleine lange nicht so gesprächig ist wie ihr Bruder Maximilian im selben Alter. "Die ersten Anzeichen für eine Dysfunktion ihres Gehörs sind jedoch erst später aufgetreten", erzählt die Mutter. Ihre Tochter habe, im Gegensatz zu anderen Kindern, kaum ängstliche Reaktionen auf geräuschvolle Geschehnisse gezeigt und selten auf Rufe der Mutter gehört.

Schülerin trägt rund um die Uhr ein Hörgerät

Der anfangs vermutete Ungehorsam entpuppt sich als Fehlfunktion von Kaja Maries Gehör. Aber: "Katja Marie hat ihr beeinträchtigtes Gehör durch andere Gaben wie die Interpretation von Gesten und Lippenlesen kompensiert", erklärt Michaela Günther. Erst als den Kindergärtnerinnen im Regelkindergarten auffällt, dass Katja Probleme mit der Verarbeitung von Geräuschen hat, suchen die Eltern einen HNO-Arzt auf. Die erste Diagnose ist erst einmal ein Schock: Katja-Marie leidet an einer Verminderung des Hörvermögens durch einen Paukenguss. Nachdem die Behandlung zu keiner Verbesserung führt, folgen weitere Untersuchungen _ mit dem Ergebnis, dass die Haarzellen in der Ohrschnecke des kleinen Mädchens eine Dysfunktion haben. Die Fehlfunktion ist irreparabel und beeinträchtigt die Umsetzung von Schall in Nervenimpulsen, die zur Verarbeitung ins Gehirn geleitet werden, entscheidend.

Seitdem trägt Katja rund um die Uhr ein Hörgerät. Es unterstützt die Schülerin, wenn die räumlichen Bedingungen es zulassen, ihre Gesprächspartner besser zu verstehen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Kindern, die durch Fehlfunktionen ihres Körpers beeinträchtigt sind, besuchte Katja seit ihrem sechsten Lebensjahr die Hartranft-Grundschule in Freudenstadt. Sie habe auch die Möglichkeit gehabt, in Mitteltal eine Grundschule zu besuchen, die Kooperationsklassen zwischen Hörgeschädigten und Kindern ohne Behinderung anbietet, erzählt Mutter Michaela. Dort sei ihr allerdings sehr schnell langweilig geworden.

In der Hartranft-Grundschule erfährt das hörgeschädigte Mädchen mit den blonden Haaren etwas, dass vielen anderen noch verwehrt bleibt: Eine größtenteils erfolgreiche Inklusion. Mit sehr viel Verständnis hätten die Lehrer sie im Großen und Ganzen durch die Grundschule begleitet – wenngleich es auch Steine gegeben habe, die den Weg manchmal unnötigerweise erschwerten, so Günther.

Unterstützung erfuhr die Familie aus Dietersweiler durch die Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn, die sinnesbehinderten Kindern individuelle schulische Förderung bietet. Sie stattet Katja-Marie mit einer sogenannten FM-Anlage aus, die sowohl vom Lehrer als auch von Katja-Marie getragen wird, und so die Kommunikation erleichtert.

Mathe, Deutsch und Englisch sind die Lieblingsfächer

Einfach war es für das aufgeweckte Mädchen dennoch nicht: Ihre Mutter erzählt von den schwarzen Tagen im Schulalltag. Von Lehrern, die sich weigerten die Anlage zu tragen, oder die Katjas Behinderung vor ganzen Schulklassen zur Schau stellten. "Das sind Beispiele für das fehlende pädagogische Feingefühl mancher Lehrer", beklagt die Mutter.

Umso bemerkenswerter ist, dass Katja es, allen Widrigkeiten zum Trotz, geschafft hat, die Grundschule mit einem sehr guten Zeugnis abzuschließen, und sogar eine Empfehlung für ein Gymnasium erhielt. Zu ihren Lieblingsfächern gehören neben Mathe auch Deutsch und Englisch. Ein Beweis, dass die jahrelange logopädische Behandlung, mit deren Hilfe Katja Defizite in Grammatik und Sprache aufholen konnte, Früchte getragen hat.

Im neuen Schuljahr wird Katja-Marie die fünfte Klasse des Kepler-Gymnasiums in Freudenstadt besuchen. Mutter Michaela ist guter Dinge: Aufgrund positiver Gespräche und einer sehr kooperativen Schulleitung werde Katja sich mit Sicherheit wohlfühlen. "Ich freu mich riesig", sagt Katja Marie aufgeregt.

Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Länder verpflichteten sich 2009 im Zuge des "Übereinkommens über Rechte von Menschen mit Behinderung", erhebliche Anstrengungen anzustellen, um die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Unterricht von behinderten und Kindern ohne Behinderung zu schaffen. Dennoch gibt es erhebliche Mängel bei der Qualifizierung der Lehrkräfte an Regelschulen – neben der Finanzierung eines der Hauptprobleme beim Thema Inklusion. Markus Stiletto, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin aus Baiersbronn, kennt die Defizite. Er erzählt: Immer mehr Familien strebten für ihre behinderten Kindern eine Inklusion an einer Regelschule an. Scheitern würden die meisten Vorhaben aber am Fachkräftemangel sonderpädagogischer Lehrkräfte.

Dennoch – die Inklusion eines behinderten Schülers in eine Regelschule bringe nicht nur Vorteile für den Behinderten mit sich, sondern auch für dessen Mitschüler, denen die Möglichkeit gegeben werde, den Umgang mit gehandikapten Menschen zu lernen, betont Stiletto. Eine solche Integration könne deutlich zur Sozialisation des Themas beitragen. "Es ist ein Menschenrecht und muss Normalität und nicht Ausnahme sein, dass behinderte Menschen in unsere Gesellschaft inkludiert sind."