Unverkennbar in ihren Jacken: Ruhe und Gelassenheit spielen eine wichtige Rolle bei den Nachtwanderern. Foto: Eberhardt

Unterwegs mit Ehrenamtlichen in der Innenstadt. Krisensituationen sind seltener geworden.

Freudenstadt - Ein Abend in Freudenstadt im August. "Seid Ihr die chillige Variante der Polizei?", fragt ein junger Mann, der sich mit einer Gruppe Freunden in der Dunkelheit am unteren Marktplatz niedergelassen hat. "Nein, das sind die Nachtwanderer", korrigiert ihn seine Freundin. "Kennst Du die nicht?" In der Tat: Die Nachtwanderer sind kein Ableger der Polizei, auch nicht der Ordnungsbehörden. Sie sind normale Bürger, die in regelmäßigen Intervallen Freitag- und Samstagnacht durch Freudenstadt laufen, an Brennpunkten präsent sind, Gespräche anbieten und deeskalierend einwirken.

Vier Leute sind an jenem Abend gemeinsam mit Gruppenleiter Wolfgang Günther auf Tour, etwa 30 aktive Nachtwanderer gibt es derzeit insgesamt. Das klingt nach viel, ist aber wenig wenn man bedenkt, dass an einem Wochenende mitunter zwei Touren gelaufen werden und jede mindestens vier Personen erfordert. Denn das Gruppenmoment ist sehr wichtig bei den Nachtwanderern. Eine Gruppe vermittelt Kompetenz und Verbindlichkeit – im Bedarfsfall auch Schutz für die Teilnehmer. Auch wenn letzteres eher selten notwendig ist.

"Ich hatte es mir aufregender vorgestellt", erzählt Nachtwanderin Elke Tigges lächelnd aus ihren Anfangstagen. Präsenz an abendlichen Brennpunkten – das klingt ja ein wenig kribbelig. Tatsächlich ist das Nachtwandern eine ruhige, besonnene Angelegenheit, die durchaus heitere Momente hat. Etwa als sich herausstellt, dass der junge Mann am unteren Marktplatz Geburtstag hat. Er bekommt ein kurzes Ständchen von den Nachtwanderern, dann geht es weiter Richtung Stadtbahnhof. Dieser galt über viele Jahre als der Brennpunkt schlechthin. Mittlerweile ist es hier ruhig geworden. Feiernde Menschen in den Kneipen, wartende Taxifahrer davor, ansonsten liegt das Areal verlassen. Zwei Stunden später, zur Abfahrtzeit der letzten Nachtbusse, wird es anders aussehen. Dann sind die Nachtwanderer wieder vor Ort, falls sich im oft alkoholseligen Gedränge Konflikte ergeben.

Krisensituationen sind seltener geworden

Alkohol ist der Auslöser der meisten Unruhen, weiß Gruppenleiter Wolfgang Günther. Doch die Präsenz der Nachtwanderer im Stadtgebiet trägt Früchte. Am Fußweg zur Ludwig-Jahn-Straße sitzen einige junge Männer. Sie sind etwas laut, um die Sitzbank sind Flaschen verteilt – die typische Situation, auf die man als Einzelperson auf dem Nachhauseweg lieber verzichten würde. Als die Nachtwanderer um die Ecke biegen, verstummt die Gruppe. Dann drehen sich einige erwartungsvoll den Läufern entgegen, einer grüßt erfreut. Dies passiert den Nachtwanderern häufig, tatsächliche Krisensituationen sind deutlich seltener. Dass eine feste Gruppe in der Stadt unterwegs ist, die Aufmerksamkeit und Interesse zeigt, vermittelt ein Gefühl der Wertschätzung. Sowohl bei den Menschen, mit denen die Nachtwanderer sprechen, als auch an den Plätzen, an denen sich die Gruppen treffen. Und das macht sich in der innerstädtischen Atmosphäre bemerkbar.

Als Nachtwanderer ist man für die zwei- bis dreistündige Tour dennoch besser gut zu Fuß. Für viele ist das Teil der Freude an der Aufgabe. "Ich bin an der frischen Luft und unter Leuten", scherzt Richard Klumpp. "Zuhause ist es langweilig." Vom Stadtbahnhof geht es über den Marktplatz zum Park Courbevoie – die Motivation neu befeuert von einer Kugel Eis. Viele der Gastronomen freuen sich über das Engagement der Nachtwanderer, die an ihren Windjacken unschwer zu erkennen sind, und zeigen dies mit kleinen Aufmerksamkeiten. Im Park selbst ist es jedoch still. Das gilt mittlerweile für viele Plätze in der Stadt. "Es verlagert sich immer wieder", weiß Wolfgang Günther aus Erfahrung. Aber die Tage, an denen alle einschlägigen Ecken frequentiert waren, scheinen deutlich zurückgegangen zu sein. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, sind die Nachtwanderer weiter auf der Suche nach Unterstützern. Laufwillig und vor allem interessiert an der Begegnung mit Menschen sollten diese sein. Sangeskünste sind hingegen nicht von Nöten, auch wenn diese ganz offensichtlich gut für Sympathiepunkte sind.

 Weitere Informationen zu den Nachtwanderern gibt es auf der Internetseite der Stadt unter der Rubrik "aktuelle Projekte", Stichwort "Nachtwanderer", oder unter Telefon 07441/88 40 12.