Sport ist ein elementarer Lebensbestandteil der beiden Weltbürger Kurt Kaschke und Christine Ratzke de Figueiredo. Kniebis ist zum Rückzugsort und Ruhepol geworden. Foto: Eberhardt Foto: Schwarzwälder-Bote

Höhenstadteil wird zur Basis zweier Weltbürger / Zunächst eher wie ein fremdartiges Wesen gefühlt

Von Tina Eberhardt

Freudenstadt-Kniebis. Viele Wege führen nach Rom – aber offenbar auch nach Freudenstadt. Zwischen Hannover und Lissabon hat ein Paar seine Zelte in Freudenstadt aufgeschlagen. Kniebis ist zur Basis zweier Weltbürger geworden.

Es war eine freiwillige Überzeugungstat, die Kurt Kaschke vor einem Jahr in Kniebis ein neues Zuhause hat suchen lassen. Kurt Kaschke, 59 Jahre alt, Realschullehrer in Freudenstadt, mehrfacher Deutscher Meister im Zehnkampf, Präsident der European Masters Athletics Association (EMA) und Mitorganisator der Senioren-Weltmeisterschaften, unter anderem in der Disziplin Leichtathletik, wollte gemeinsam mit einem Freund eine Geschäftsidee aufbauen: Gesundheitsmanagement über den sportlich-pädagogischen Ansatz.

Der Stadtteil Kniebis war Kurt Kaschke nicht fremd, schon als Hochschulsportler hatte er dort regelmäßig an Wettkämpfen teilgenommen. Als sein Freund kurz nach dem Umzug tragisch ums Leben kam, war dies ein herber Schlag, die Dynamik ließ sich Kurt Kaschke aber nicht nehmen: "Ich bin grundsätzlich ein positiv denkender Mensch." Und es klingt bei ihm authentisch. Was es heißt, aus der Welt nach Freudenstadt zu ziehen, bekam seine Partnerin Christine Ratzke de Figueiredo ohnehin härter zu spüren. Die 60-jährige agile Pädagogin war mit Anfang 20 über Italien und Spanien nach Portugal ausgewandert und hatte dort 38 Jahre ihres Lebens verbracht. Deutschland als Heimat war eine Entscheidung ihrem Partner zuliebe.

"Es geht schlecht, aber wir machen etwas"

Und in Freudenstadt fand sie sich in dem seltsamen Schwebezustand wieder, der einen leicht überkommen kann, wenn man nach längerer Zeit im Ausland in den ländlichen Nordschwarzwald geworfen wird. "Ich fühlte mich ein wenig wie ein ›Foreign Object‹", erklärt Christine Ratzke de Figueiredo – wie ein fremdartiges Wesen.

An den Menschen lag es gewiss nicht, betonen beide, obwohl es manchmal interkulturelle Schwierigkeiten gab. "Ich habe meistens niemand verstanden", lacht Kurt Kaschke über das offensichtlichste Problem. Spürbarer wurden die Unterschiede woanders. Als Kurt Kaschke für die Weltmeisterschaften in Brasilien um eine zweiwöchige Freistellung vom Schuldienst bat, schlug ihm in Freudenstadt zum ersten Mal im Leben behördlicher Missmut für seine ehrenamtliche Tätigkeit entgegen. Christine Ratzke de Figueiredos erster Eindruck von Freudenstadt wurde von einem anderen Bild dominiert: "Es fehlt Energie, es fehlt Aufbruch-Stimmung."

Leer stehende Hotel- und Gebäudeanlagen stimmten bei den ersten Touren die passionierten Wanderer traurig. Beide vermissen den Impuls von "Es geht schlecht, aber wir machen etwas". In ihrer neuen Heimat Kniebis sind die beiden damit im richtigen Umfeld angekommen. Grund für die Entscheidung für den Teilort war eigentlich die Naturnähe.

Gemeinsam haben die beiden Pädagogen dort die "Academy of Global Education" gegründet, ein Bildungsinstitut wo sie Menschen aus aller Welt ihren Erfahrungsschatz aus Schule, Sport und internationalen Projekten in einem vielseitigen Angebotspaket offerieren.

Doch das enorme ehrenamtliche Engagement der Bürger und insbesondere der Tatendrang im kleinen Höhenstadtteil Kniebis haben beeindruckt. Mobiles Einsatzteam, Schwimmbad, Loipen – "es passiert was", freuen sich Kurt Kaschke und Christine Ratzke de Figueiredo. Zusammen sind sie engagiert dabei, Freunde aus aller Welt einzuladen. Die Wanderhütten, die Natur, der Marktplatz mit den im Wasser planschenden Kindern, der prächtige Blumenschmuck im Sommer – "es ist sehr schön, wir würden das allen zeigen." In Sachen Willkommenskultur für internationale Gäste und Bürger spürt Christine Ratzke de Figueiredo aber auch noch Nachholbedarf: "Es ist schwierig, Infos zu bekommen."

Wenn man aus dem Ausland kommt, erklärt die 60-Jährige, sind die kommunalen Kommunikationsstrukturen nicht vertraut. Wo findet man einen Verein? Wer bietet Sprachkurse an? Welche Kulturangebote gibt es? Es fehlt eine grundlegende Plattform, schildert Christine Ratzke de Figueiredo das Problem, dass auch viele ihrer ausländischen Sprachschüler in der Volkshochschule plagt.

Jetzt ist es Zeitfür neue Ideen

Dennoch: Nach einem ersten Jahr ist ein Heimatgefühl entstanden. Christine Ratzke de Figueiredo wird ihre Wohnung in Lissabon, die sie bis dato behalten hat, zum Jahreswechsel auflösen. Jetzt ist es Zeit, Tatendrang und Ideen in der neuen Heimat einfließen zu lassen. "Wir werden hier unseren Footprint hinterlassen", meint Kurt Kaschke lächelnd.