Konzept der Gemeinschaftsschule kommt bei Informationsveranstaltung zur Schulentwicklung nicht gut weg

Von Sylvia Wiegert

Freudenstadt. Welche Schulform ist in Freudenstadt neben dem Gymnasium gewünscht? Die Gemeinschaftsschule scheint es eher nicht zu sein, denn deren Kritiker erhielten am Mittwoch bei einer Informationsveranstaltung der Stadt zum Thema Schulentwicklung viel Applaus.

Rund 150 Zuhörer waren in den Kienbergsaal des Kurhauses gekommen, um sich über mögliche Schulformen für Freudenstadt zu informieren und gemeinsam mit Fachleuten darüber zu diskutieren. "Wir werden heute keine Lösungen präsentieren", informierte Bürgermeister Gerhard Link die Teilnehmer, Stadtverwaltung und Gemeinderat wollten vielmehr ein Stimmungsbild einholen, wie sich Eltern, Lehrer und Schulleiter die Bildungslandschaft der Stadt künftig vorstellen.

Denn der Gemeinderat wird sich wohl schneller als ihm lieb ist für einen neuen Bildungsweg neben dem Gymnasium entscheiden müssen. Der Grund: die sinkenden Schülerzahlen an der Werkrealschule. Der droht mangels Anmeldungen wohl in absehbarer Zeit das Aus. Zwar wird die vom Ministerium geforderte Mindestzahl von 16 Schülern in Klasse fünf mit aktuell 35 Anmeldungen noch locker erreicht, doch die Pläne der grün-roten Landesregierung zur Weiterentwicklung der Realschulen dürften den Untergang der Werkrealschule jetzt beschleunigen.

Die Realschulen, so das Konzept von Kultusminister Andreas Stoch, sollen künftig Kinder mit Hauptschulempfehlung und Kinder mit Realschulempfehlung aufnehmen, sie auf unterschiedlichen Niveaustufen gemeinsam unterrichten und neben der mittleren Reife auch den Hauptschulabschluss anbieten. Damit werden die Werkrealschulen so gut wie überflüssig.

Und auch die von Stadtverwaltung und Schulleitungen für Freudenstadt favorisierte Lösung einer Verbundschule, bei der die Werkreal- und die Realschule unter gemeinsamer Schulleitung, aber sonst eigenständig weiterarbeiten, ist durch die Ministerpläne hinfällig: "In diese Variante würde ich kein Hirnschmalz mehr investieren", machte am Mittwoch Daniel Hager-Mann von der Stabstelle Gemeinschaftsschule und Inklusion des Kultusministeriums deutlich.

Was Freudenstadt jetzt als Alternativen bleibt, ist spärlich: Entweder Werkrealschule und Realschule werden beide aufgegeben und zu einer Gemeinschaftsschule umgewandelt, in der alle Kinder – vom Hauptschüler bis zum Gymnasiasten – gemeinsam nach einem verbindlichen Ganztagskonzept unterrichtet werden, oder die Realschule wird nach Vorgaben des Ministeriums "weiterentwickelt".

Dem Publikum im Kienbergsaal wollte beides nicht so recht schmecken. Vor allem Daniel Hager-Mann musste als Fürsprecher der Gemeinschaftsschule viel einstecken. "Wir sehen menschliche Unterschiede als Bereicherung und lernen dadurch miteinander und voneinander", warb er für sein integratives Schulkonzept und provozierte damit ordentlich Gegenwind: "Für mich hört sich das an wie Kommunismus", hielt ihm eine Realschullehrerin vor. Die Gemeinschaftsschule basiere auf der Vorstellung von idealen Kindern, die sich alles selbst beibringen, idealen Eltern, die gerne mit der Schule zusammenarbeiten, idealen Lehrern, die nach acht Stunden Unterricht noch Förderpläne erstellen und Elterngespräche vorbereiten, und idealen Schulträgern, die gerne und viel in die Schule investieren, hielt sie dem Ministeriumsmitarbeiter vor.

Andreas Bombel: "Gemeinschaftsschule ist nur ein Versuch"

Auch der stellvertretende CDU-Kreisvorsitzende und Freudenstädter Stadtrat Andreas Bombel sparte nicht mit Kritik: "Mich nervt der ständige Wechsel bei den bildungspolitischen Vorgaben, da wird Politik auf dem Rücken von Kindern und Eltern gemacht", monierte er. Die Gemeinschaftsschule, so Bombel, sei nichts weiter als ein Versuch, und es könne nicht sein, dass man in Freudenstadt bewährte Schulen für einen Versuch opfern müsse.

Von den 209 Gemeinschaftsschulen, die es in Baden-Württemberg gibt, seien nur 16 ehemals Realschulen gewesen und keine einzige sei aus einem Gymnasium hervorgegangen, hielt Joachim Hack, Rektor der Verbundschule Oberes Kinzigtal in Alpirsbach, dem Ministeriumsvertreter vor. Die Gemeinschaftsschulen des Landes seien fast ausschließlich ehemalige Werkrealschulen, die um ihre Existenz bangen mussten. "Sie haben daher weder die Schülerschaft noch die Lehrerschaft, die sie für ihr Konzept des Miteinander-Lernens bräuchten", folgerte Hack.

Die vielpropagierte individuelle Förderung sei außerdem kein Alleinstellungsmerkmal der Gemeinschaftsschule: "Die Werkrealschulen und Realschulen haben ihre Schüler schon immer individuell gefördert, tun Sie nicht so, als ob das nur in der Gemeinschaftsschule der Fall sei", hielt er Hager-Mann vor.

Auch der geplante Umbau der Realschulen ärgerte den Rektor aus dem Kinzigtal, denn das Ministerium baue dadurch bewusst eine zusätzliche Konkurrenz zur ohnehin schon schwächelnden Werkrealschule auf: "Dann sollten Sie so ehrlich sein und offen sagen, dass die Landesregierung die Werkrealschulen nicht mehr will", forderte er von der Politik.

Wie krass das Sterben der Werkrealschulen ist, zeigten Anja Bauer und Wolfgang Held vom Staatlichen Schulamt Rastatt auf: Im Jahr 2009 habe es im Schulamtsbezirk noch 46 Werkrealschulen gegeben, heute seien es noch 24. Sechs von ihnen hätten bereits den "blauen Brief" auf dem Tisch, weil die nötigen Anmeldezahlen nicht erreicht wurden.

Die Freudenstädter Werkrealschule, so Bauers Prognose, werde allerdings nicht so schnell geschlossen, sie sei zahlenmäßig derzeit die stärkste Werkrealschule im Schulamtsbezirk Rastatt. Und so schnell wollen deren Lehrer sie auch nicht aufgegeben: "Uns wird es auch weiterhin geben, und ich hoffe, dass uns genug Eltern unterstützen", sagte die kommissarische Schulleiterin der Werkrealschule, Dorothea Beller.

Und auch Bürgermeister Gerhard Link versicherte: "Im nächsten Jahr wird sich nichts ändern", allerdings werde der Gemeinderat voraussichtlich noch vor der Sommerpause darüber beraten, wohin die Reise in der Bildungslandschaft der Stadt gehen soll.

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