Im Landratsamt war der weithin bekannte Journalist Ulrich Kienzle (Zweiter von rechts) zu Gast. Unser Bild zeigt ihn (von links) mit Landrat Klaus Michael Rückert, Buchhändlerin Gudrun Krüper sowie Moderator und Verleger Martin Mühleis. Foto: Keck Foto: Schwarzwälder-Bote

Journalist Ulrich Kienzle räumt bei Lesung im Landratsamt gründlich mit Vorurteilen gegenüber den Schwaben auf

Von Gerhard Keck

Freudenstadt. Dass die Schwaben sich in Bescheidenheit üben, hat sich herumgesprochen. Die Bayern sind dagegen Angeber, die alles nach außen kehren müssen. Der sprichwörtliche Minderwertigkeitskomplex des südwestdeutschen Volksstammes speist sich aus seinem unverkennbaren Duktus, der ihm lange die "rote Laterne" in der Hitparade der Spracheigentümlichkeiten beschert hat. Mit der deutschen Wiedervereinigung ist sie jedoch an die Sachsen weitergereicht worden.

Ulrich Kienzle, weit gereister Journalist und einer der politischen Vorzeigemoderatoren in der deutschen Fernsehlandschaft, hatte im Foyer des Landratsamts einen viel beachteten Auftritt zum unerschöpflichen Thema Schwaben. Der Mann mit der imposanten Bürste zwischen Nase und Oberlippe, vergleichbar mit der von Günter Grass, plauderte zum großen Vergnügen des Publikums über schwäbische Macken, Eigenheiten, Vorzüge und die Vorurteile, die dem Schwaben seit jeher anhaften. Dabei erwies es sich: Wenn Kienzle mal in Fahrt ist, hält ihn so schnell niemand auf. Diese Erfahrung wurde auch seinem Verleger Martin Mühleis zuteil, der immer wieder Mühe hatte, den Interviewpartner auf das richtige Gleis zurückzuführen.

Berüchtigte Kehrwoche "ist in Stuttgart offiziell abgeschafft"

Landrat Klaus Michael Rückert versprühte in seiner Einführung Vorfreude auf den Abend und nutzte die Gelegenheit, dem wortgewaltigen Gast auch die Vorzüge des Landkreises – "des schönsten im Land" – aufzuzeigen. Erfinder, Tüftler und Denker sind dort beheimatet. Badener und Schwaben, so der Kreischef, seien eine geglückte Allianz eingegangen und behandelten sich gegenseitig mit dem gehörigen Respekt. Rückerts besonderer Dank für das Zustandekommen von Lesung und Podiumsgespräch richtete sich auch an Buchhändlerin Gudrun Krüper und ihr Team von der hiesigen Arkadenbuchhandlung. Die Veranstaltung ergänzte die noch bis zum 3. Oktober im Foyer des Landratsamts angebotene Ausstellung mit großformatigen Fotos von "Siebzehn Schwaben".

Ulrich Kienzles Wortkaskaden stützten sich auf Anekdoten, Witze und Erfahrungen, gespeist auch aus seinen Büchern "Abschied von 1001 Nacht", "Die Schwaben. Wie sie wurden, was sie sind." sowie "Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben".

Die Schwaben und das Hochdeutsche: Jürgen Klinsmann und der Müsli-Produzent Seitenbacher legen ein beredtes Zeugnis dafür ab. Die Schwaben und ihre Identität: Der Schwabe, so wie er herumreicht wird, ist für Ulrich Kienzle "eine Erfindung der Berufshumoristen". Deren "Standardwitze zünden nicht mehr", denn die berüchtigte Kehrwoche "ist in Stuttgart offiziell abgeschafft", und in Bayern, Hessen und Hamburg sei in den vergangenen Jahren nachweislich mehr in die Spardose gedrückt worden als in Baden-Württemberg. Auch der sprichwörtliche schwäbische Häuslesbauer ist für Kienzle ein Relikt längst vergangener Tage. Der "Bruddler" geht einer Passion nach, ein "Bruddler" ist jemand, "dem alles gegen den Strich geht", aber "Bruddeln ist halt ein ziemlich einsames und folgenloses Geschäft". Umso erstaunlicher sei es, dass sich die einsamen Wölfe plötzlich zu Riesendemos in Stuttgart zusammengerottet haben. Kienzle schließt daraus, dass sich im "Wesen des Schwaben etwas verändert haben" muss.

Bleibt schließlich das unumgängliche Thema "Der Sex und die Schwaben". Die "pietistische Verklemmtheit", so Kienzle, gipfelt in der Überzeugung: "Die Wolluschd ischd des gröschde Hindernis für die ewich Säligkeid." Orgasmus auf Schwäbisch – das ist eine knappe, ökonomische Sache, die sich in zwei Diminutiven erschöpft: "Sodele…Jetzetle!"

Der "Medienmann der ersten Stunde", gefragt nach seiner Einschätzung des aktuellen Bildschirmangebots, sprach schließlich noch Klartext: neben dem "Idiotenfernsehen" gebe es noch viel Positives, beispielsweise auf den Nachrichtenkanälen. Seine Anerkennung galt den Moderatoren, die "heute viel professioneller sind als früher". Bedauerlicherweise würden kantige Typen abgeschliffen; Zeitverträge produzierten nicht selten Duckmäusertum.