Hintergrund: Nationalpark-Leitung stellt Konzept für Borkenkäfer-Management vor / Forschung

Kreis Freudenstadt. Borkenkäf er sind der Albtraum des Waldbesitzers. Im Nationalpark Schwarzwald kann der Schädling dagegen ungehindert schalten und walten. Ein Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie? Es gibt Lösungen – aber auch Skepsis.

Wenn Thomas Waldenspuhl vom Borkenkäfer spricht, hört sich das beinahe zärtlich an. "Er ist ein willkommener Gast", meint der Leiter des Nationalparks. Der Schädling sorge dafür, dass der Wald nicht zu dicht werde, junge Bäume nachwachsen können. Überhaupt: "Werde, Wachse, Vergehe", heiße das Motto für den Nationalpark. Und wenn der Borkenkäfer dort noch so wüten würde – eingreifen in den Gang der Natur werde man in diesen Urwäldern inmitten des Schwarzwalds nicht. Umweltschützern mag bei solchen kühnen Worten das Herz höher schlagen, Laien mögen sich wundern – doch Waldbesitzer, die in der Nähe des Nationalparks leben, haben bei so viel Naturliebe durchaus ihre Bedenken.

Waldbegehung im Schönmünztal bei Baiersbronn-Zwickgabel: Die Sonne brennt. Journalisten, Forstexperten und Waldbesitzer hat Waldenspuhl um sich versammelt. Weit schweift der Blick über den dunklen Wald – vereinzelte hell und bräunlich gefärbte Fichtenkronen zeigen an, dass der gefürchtete Käfer bereits zugeschlagen hat. Hohe Temperaturen, Trockenheit – das sind ideale Bedingungen für das Gedeihen des winzigen Borkenkäfers. "Explosionsartige Ausbreitungen", so die Experten, seien unter solchen Bedingungen möglich. Bereits im Juni hatte die Stuttgarter Forstbehörde offiziell gewarnt.

Vor allem in den anfälligen Fichtenbeständen können die nur Millimeter großen Käfer, die sich durch die Rinde der Bäume bohren, ihre Eier ablegen und so die Wasser- und Nährstoffversorgung behindern, massive Schäden anrichten. Die Bäume sterben ab – kommerziellen Waldbesitzern drohen schwere finanzielle Einbußen. Monokulturen seien besonders in Gefahr.

Allerdings: Ganz so taten- und hilflos, wie Waldenspuhl tut, ist er nun doch nicht. Zwar ist im Kernland des Naturparks ein Vorgehen gegen den Käfer in der Tat tabu – an den Rändern des Parks allerdings haben die Forstleute den "Buchdrucker" – so heißt der Schädling, der derzeit im Schwarzwald unterwegs ist – umso stärker im Visier. Oberstes Ziel: Die Ausbreitung des Käfers außerhalb des Parks muss unter allen Umständen verhindert werden.

"Wir tun das Menschenmögliche, damit die Wälder außerhalb des Parks nicht befallen werden", meint Jörg Ziegler, Leiter des Fachbereichs Wald und Naturschutz des Nationalparks. Das Stichwort heißt "Borkenkäfer-Management". Um zu verhindern, dass die "Buchdrucker" aus ihrem Urwald ausbrechen, sich über deren Grenzen ausbreiten und letztlich über kommerzielle Wälder herfallen, haben die Experten sogenannte Puffer- und Entwicklungszonen an den Rändern des Nationalparks angelegt. Allein die Pufferzonen sind 500 Meter breit, sie verlaufen um den gesamten Nationalpark, so Waldenspuhl. "Jede Woche wird jeder Baum in dieser Pufferzone überprüft", berichtet er. Erkennen sie befallene Bäume, schreiten die Forstleute schnellstmöglich zur Tat: Innerhalb von 14 Tagen müssen die Bäume gefällt und das Holz aus dem Wald abtransportiert werden – eine anderes Mittel zur Eindämmung der Käfer gebe es bisher nicht.

"Borkenkäfer-Management" – das Wort mag Laien etwas sperrig und beamtenmäßig anmuten. Konkret bedeutet es: Von April bis September sind 50 Waldarbeiter mit der Suche nach den Schädlingen unterwegs. High-Tech ist angesagt, nicht mit Bleistift und Papier ziehen die Forstleute ins Gelände, sondern mit Tablet und GPS-Ortung. Akribisch achten sie bei ihren Rundgängen auf Warnzeichen, die den Befall anzeigen: Leuchtende Farbe in den Kronen, Harztropfen an den Rinden, mit denen sich die Fichten gegen den Schädling zu wehren versuchen, sowie Bohrmehl am Fuß der Bäume. Per Internet werden die Erkenntnise der Zentrale in Stuttgart durchgegeben – dort werden genaue Karten über die Gefahrenlage gefertigt und per Mausklick an alle Interessenten verschickt.

"Dieses Verfahren ist einmalig", meint Ziegler. Er kommt regelrecht ins Schwärmen: "Das ist das intensivste Borkenkäfer-Management in ganz Deutschland." Etwas leiser fügt er hinzu: "Wahrscheinlich sogar in Europa."

Bislang alles im Lot

Angesichts der derzeit paradiesischen Bedingungen für den Käfer müsste unter den Forstleuten derzeit Alarmstimmung herrschen. Doch tatsächlich sieht sie Lage anders aus. Nur sehr wenige Bäume in der Pufferzone sind derzeit befallen, die Experten sprechen von etwa 500. "Das ist praktisch gar nichts", heißt es. Dennoch: Entwarnung kann noch nicht gegeben werden, bis zum September müssen Waldarbeiter und Forstexperten auf der Hut sein. Erst dann ist die Gefahr vorbei – für dieses Jahr zumindest.

Das Ziel Ist klar: Die Pufferzone sowie eine im Nationalpark gelegene Entwicklungszone, in denen allerdings lediglich für eine Restzeit von rund 28 Jahren Eingriffe erlaubt sind, sollen als unüberwindliches Hindernis den gefürchteten Borkenkäfer in Schach halten.

Restskepsis bleibt

Zusätzliche Schritte werden getan: Experten haben im Schönmünztal schon befallene Fichtenstämme unter einem Zeltdach gestapelt. Unter der Rinde haben sich die Käfer bereits entwickelt. Die Oberfläche der Stämme haben die Forstleute mit fluoreszierender Farbe bestrichen, die an den Käfern hängen bleibt, wenn sie wegfliegen. Zudem haben Waldarbeiter in der Umgebung Borkenkäfer-Fallen aufgestellt, die die Schädlinge durch Lockstoffe anziehen. Auf diese Weise kann ermittelt werden, wie weit und in welche Richtung die Käfer fliegen. Vieles am Verhalten des Schädlings sei noch unbekannt, meint Waldenspuhl. Vieles müsse noch erforscht werden. Doch derzeit sind die Experten optimistisch, mit ihren Pufferzonen ein Rezept gegen die Ausbreitung gefunden zu haben.

Auch Maria Schmider ist bei der Exkursion im Schönmünztal dabei. Die drahtige Frau ist mit Wanderschuhen ausgerüstet, einen Strohhut hat sie gegen die sengende Sonne dabei. Sie und ihr Ehemann sind Waldbesitzer, 140 Hektar bei Oberwolfach sind ihr Eigen. Das liegt rund 40 Kilometer vom Nationalpark entfernt. "Nein, wir persönlich haben keine Angst", sagt sie zu einer möglichen Ausbreitung der Käfer aus dem Park. Doch sie räumt ein: Bereits vor der Gründung des Nationalparks habe es Bedenken kommerzieller Waldbesitzer gegeben. Die Angst ging um, "dass die Sache nicht wirklich gemanagt werden könnte, dass es aus dem Park übergreift. Die Bedenken waren da und sie sind noch da." Allerdings, die Demonstration der Forstleute und deren Borkenkäfer-Managements haben der Frau mit dem Strohhut ein Großteil ihrer Bedenken genommen – zumindest fürs Erste. "Wenn tatsächlich so gehandelt wird, wie sie es uns gezeigt haben, könnte man beruhigt sein", meint Schmider. Das klingt nicht nach heller Begeisterung, Restbedenken bleiben wohl.

Auch die Schmiders in Oberwolfach haben mit dem Borkenkäfer zu kämpfen. "Ich kann nicht sagen, dass wir keine Borkenkäfer haben", meint sie. Ihr Vorteil sei aber die Früherkennung. "Wir sind jeden Tag draußen, wir erkennen es sofort." Und man sei bereits im Frühjahr, im Vorfeld der Ausbreitung also, gegen den Schädling tätig geworden. "Mit Neemöl und Chillipuver", sagt sie. Das sei aber nicht im großen Maßstab anwendbar, sondern nur im Frühjahr "praktisch zur Abschreckung". Zwar habe man dieses Jahr bisher keinen Baum verloren, dennoch gilt: "Du kannst nie sicher sein, ob es nicht doch weitergeht. Wir können nie zu 100 Prozent sagen: Die Gefahr ist beseitigt."

Das sieht auch Nationalpark-Leiter Waldenspuhl so. Trotz Management und neuester Forschung, im Grunde sei gegen den Schädling kein Kraut gewachsen. Irgendwie komme er immer wieder. "Nach dem Borkenkäfer ist vor dem Borkenkäfer", sagt der Forstexperte. Der Borkenkäfer gehöre zum Fichtenwald wie das Amen in der Kirche .