Ein Teil der großen Koalition gegen Armut war auch beim Vortrag von Gerhard Trabert und Nele Kleinehanding (Zweiter beziehungsweise Dritte von links) im Stadthaus zugegen (von links): Georg Lorleberg, Renate Braun-Schmid, Axel Buchthal, Marion Schmid und Erwin Reck. Foto: Keck Foto: Schwarzwälder-Bote

Gerhard Trabert und Nele Kleinehanding referierten über brennendes Gesellschaftsproblem

Von Gerhard Keck

Freudenstadt. Arme Menschen zu fragen "Wie geht’s?", hat schon etwas Zynisches an sich. Die Antwort kann ja nur lauten: "Schlecht. In jeder Beziehung!"

Bereits Johann Wolfgang von Goethe, der nicht zu den Bedürftigen zählte, kam um die Erkenntnis nicht herum: "Arm im Beutel, krank am Herzen." Armut ist ein gesellschaftliches Problem. Treffen kann es im Grunde jeden. Zum Auftakt der landesweiten Aktionswoche gegen Armut, einer Initiative der Liga der freien Wohlfahrtsverbände (wir berichteten), referierten der Mediziner Gerhard Trabert, zugleich Sozialarbeiter, und die Sozialarbeiterin Nele Kleinehanding vom Verein Armut und Gesundheit in Deutschland über das Thema "Armut macht krank und Krankheit macht arm" im Stadthaus.

Renate Braun-Schmid, Geschäftsführerin der hiesigen Diakonischen Bezirksstelle, führte in den Vortragsabend ein. Was die beiden Referenten darlegten, unterstützt durch zahlreiche Quellen und Anschauungsmaterial, lässt aufhorchen. Aus dem vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2013 geht hervor, dass mehr als 15 Prozent der Bevölkerung respektive zwölf Millionen Menschen in Armut leben. Eingeschlossen sind zweieinhalb Millionen Kinder.

Untersuchungen belegen, dass die Sterberate von Armen bundesweit deutlich erhöht ist. Trabert und Kleinehanding führten dazu aus, dass ein Lebenserwartungsunterschied von elf Jahren bei Männern und acht Jahren bei Frauen zwischen dem reichsten und dem ärmsten Viertel der Bevölkerung besteht.

Daraus schließen die Experten: Je gerechter sich eine Gesellschaftordnung zeigt, desto höher ist die Lebenserwartung. Ein Teufelskreis kommt in Gang, der sich aus der Tatsache speist, dass chronisch schlechte Gesundheit das Armutsrisiko erhöht. Von Einkommensarmut Betroffene nehmen keine oder seltener medizinische Hilfe in Anspruch, heißt es in Expertisen.

Zuzahlungen und Eigenleistungen, die sie nicht erbringen können, halten sie vom Gang zum Arzt ab. Erforderliche Medikamente können sie nicht bezahlen. Arme Kinder seien im Verlauf ihres Lebens stärker von Krankheit bedroht, so Medizinprofessor Trabert. Hierbei spiele auch die schlechtere Ernährung eine bedeutende Rolle.

Armut wirke traumatisierend, die Risikofaktoren ergäben sich aus einer ganzen Reihe von Faktoren. Dazu zählen neben anderen die soziale Lebenssituation und Arbeitslosigkeit. Sie ernstzunehmen sei auch von Behörden einzufordern. Um aus dem Teufelskreis aus Krankheit und Verschuldung ausbrechen zu können, sind nach Überzeugung der Referenten drei Handlungsebenen erforderlich: Die Betroffenen müssten Respekt und Wertschätzung erfahren. Auf der praktischen Ebene sei schnelles Reagieren unumgänglich, beispielsweise in Form von medizinischer Hilfe oder von Seiten sozialer Einrichtungen. Schließlich gehe es auch darum, nachhaltige strukturelle Verbesserungen vorzunehmen, vornehmlich, was das Krankenversicherungssystem betrifft.

Unumgänglich sei ferner eine deutliche Erhöhung des Hartz IV-Satzes. Mitschuld an der Misere tragen nach Ansicht von Gerhard Trabert und Nele Kleinehanding sowohl das hochschwellige System mit seinen komplizierten Gesetzen als auch teilweise mangelnde Informationsbereitschaft der Behörden.

Lösungsansätze bietet der Verein Armut und Gesundheit in Deutschland mit Sitz in Mainz. Er entwickelt und unterstützt Initiativen, Modelle und Projekte, die die Gesundheitsversorgung armer und sozial benachteiligter Menschen verbessern. Im Fokus stehen dabei Obdachlose. Konkret zählen dazu das "Mainzer Modell" zur gesundheitlichen Versorgung von wohnungslosen Menschen und die "Medizinische Ambulanz ohne Grenzen" für Menschen in prekären Lebenssituationen. Der Verein finanziert sich wesentlich durch Spenden.

Leiten lassen sich die engagierten Helfer auch durch einen Appell Franz Kafkas: "Wege entstehen dadurch, dass man sie geht."